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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie
Autoren: Thomas Weiss
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paradoxen Intention haut hin, ich muss mich gar nicht noch umschauen. Mit der Zwangsvorstellung, dass ich jemanden ermordet hätte, werde ich ganz gut fertig – ich kann sie wegbrin gen!‹ Frau Dr. Niebauer: ›Wie verhalten Sie sich denn jetzt?‹ Patientin: ›Ganz einfach, ich sage mir, wenn eine solche Zwangsvorstellung aufkommt, dass ich gleich weiter muss, um mein Pensum rechtzeitig zu erledigen, da ich ja noch so viele umzubringen habe. Dann ist aber auch der Zwang weg .‹« 9
    Bei beiden Autoren wird in den kleinen Fallbeispielen nicht auf eine Vernetzung der Symptomatik mit der Familie oder der Außenwelt eingegangen. Anstelle des Systems »Familie« betrachten sie also das System »Individuum«, ohne allerdings diesen Begriff schon zu benützen.
    Beide, besonders Viktor Frankl, sehen aber das Dilemma, in das Patienten hineinkommen, wenn die Lösung zum Problem wird. Die Angst vor dem Schwitzen führt zu einem Problem, das sich aus sich selbst erhält. Deswegen verzichtet Frankl auf eine psychogenetische Analyse und löst das Problem, indem er den Patienten in eine »Sei-spontan!«-Paradoxie verwickelt: Der Patient kann nicht bewusst vollziehen, was seinem Wesen nach spontan ablaufen muss.
    Die eigentliche systemische Psychotherapie geht vor allem auf die Arbeitsgruppe um Gregory Bateson in Palo Alto, einem Ort nicht weit von San Francisco, zurück. Dort arbeitete man zwischen 1952 und 1962 an einem Forschungsprojekt über die Kommunikation von Familien mit einem schizophrenen Mitglied. Ein wesentliches Ergebnis der Arbeit war die Theorie des »double bind« 10 (im Deutschen: »Doppelbindung« oder »Beziehungsfalle« nach Stierlin 11 ). In dieser Theorie
wurde zum ersten Mal ein Symptom aufgrund der Kommunikationsstruktur in einer Familie verstanden. Inhaltlich geht es um Folgendes: Einem Familienmitglied werden Botschaften gegeben, die sich logisch widersprechen. Beispielsweise wird verbal das Gegenteil von dem gesagt, was gestisch oder in der Stimmlage vermittelt wird. Oder ein anderes Beispiel: Ein Kind bekommt zwei Hemden geschenkt, ein grünes und ein blaues. Das Kind zieht das grüne Hemd erfreut an. Die Mutter (die war in den Anfängen noch die Hauptschuldige) reagiert darauf: »Ach, das blaue Hemd gefällt dir also nicht!«
    Damit aus diesem Kommunikationsmuster schizophrenes Verhalten entsteht, müssen noch zwei weitere Bedingungen dazukommen. Es darf weder möglich sein, sich der Situation zu entziehen, noch darf über das Kommunikationsmuster gesprochen werden. Es ist ein Tabu.
    Gleichfalls am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto arbeiteten noch weitere Forscher, die systemisches Denken in die Psychotherapie einführen wollten (Don D. Jackson, Richard Fisch, Paul Watzlawick, John H. Weakland u.a.). Man arbeitete vor allem an einem Kurztherapiepro jekt. 12 Dabei hatte die Forschergruppe »eine ganz auf das akute Problem gerichtete Kurztherapie zu entwickeln versucht, die die klinischen Erscheinungen als Aspekte von Vorgängen im zwischenmenschlichen Beziehungssystem des Kranken versteht. Bei dieser Sicht wird postuliert, dass psychische Notlagen und Symptome aus einer falschen Verarbeitung von Schicksalsschlägen oder anderen Zerrüttungen im Beziehungssystem des Patienten herrühren. Die akute Symptomatik spiegelt vielleicht eine Zunahme der ursprünglichen Schwierigkeiten durch zwar gut gemeinte, auch anscheinend vernünftige, in Wahrheit aber ungeeignete Bemühungen wider, der Lage Herr zu werden, und zwar sowohl seitens des Patienten selbst, wie seitens seiner Umgebung. Die therapeutische Arbeit konzentriert sich vor allem auf bereits unternommene Lösungsversuche – also darauf, was schon getan wurde, um den Schwierigkeiten des Patienten zu
begegnen – und nicht auf diese Schwierigkeiten selbst (...) Es handelt sich um sorgsam abgewogene Maßnahmen, die einem Verhalten vorbeugen sollen, das die Probleme nur aufrechterhalten würde. Die Probleme werden in einen anderen Zusammenhang gestellt und neu definiert, und damit auch die ursprüngliche Zielsetzung und die Einstellung der beteiligten Personen, was zu einem völlig veränderten Verhalten führen kann. Das Schwergewicht liegt darauf, alle Beteiligten zu neuen Handlungsweisen zu bewegen, sei es im Haushalt, durch direkte und indirekte Suggestion oder mittels paradoxer Anweisungen. Der Therapeut zielt absichtlich nur auf kleine, aber genau umgrenzte Veränderungen im Verhalten ab, jedoch mit der Absicht, eine Veränderung
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