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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie
Autoren: Thomas Weiss
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kleinen Körpern wie Atome oder Elektronen) nicht gleichzeitig die Geschwindigkeit und die Position bestimmen kann. Da jede Beobachtung dieser kleinen Körper mit Energieaufwand verbunden war, wurde deutlich, dass auch die Beobachtung selbst das Beobachtungsobjekt beeinflusst. Mit der »Objektivität« des Beobachters, der außerhalb des Experimentes steht, war es nun dahin. Der Beobachter stand ab diesem Zeitpunkt in einem Beziehungszusammenhang mit dem Objekt.
    In der Mathematik existierten damals bereits Modelle, wie diese Phänomene beschrieben werden konnten, besonders ist hier Bertrand Russel hervorzuheben.

    Es entwickelte sich eine neue Vorstellung, ein neues wissenschaftliches »Paradigma«, in der die Beziehungen zwischen verschiedenen Objekten betrachtet wurden. Nicht die Eigenschaften eines bestimmten Objektes wurden hier als determinierend verstanden, sondern das Netzwerk der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Objekten.
    Dieses neue Denken blieb nicht auf die Mathematik beschränkt. Auch in anderen Bereichen fand es schnell Verbreitung. Am bekanntesten ist die Anwendung in der Kybernetik und Informatik, wo das Denken in Regelkreisen eine völlig neue Technologie hervorbrachte – die Computertechnik. Erst durch das zirkuläre Denken in den Kategorien von Rückmeldung (positivem und negativem Feedback) wurde diese Entwicklung möglich.
    Auch in der modernen Biologie wurde die neue Denkweise übernommen. Hier war vor allem die Anwendung auf die untereinander vernetzten Populationen verschiedener Pflanzenund Tiergattungen erfolgreich. Am Anfang stand die einfache Beobachtung, dass etwa die Fuchs- und Hasenpopulation in gegenseitigem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Gibt es im einen Jahr viele Hasen, so wird es im Folgenden viele Füchse geben, die sich in der Zwischenzeit gut von den Hasen ernähren konnten. Wenn nun die zahlreichen Füchse die Hasen dezimieren, wird auch bald die Anzahl der Füchse aus Mangel an Nahrung abnehmen, und der Zirkel kann von Neuem beginnen. Dies ist natürlich ein sehr einfaches Modell mit lediglich zwei Variablen. Mittlerweile können auch komplexe Ökosysteme untersucht werden, in denen eine Vielzahl von abhängigen Variablen gleichzeitig berücksichtigt wird. Auf diese Weise wird deutlich, dass letztlich alles Leben auf dem Planeten miteinander in Beziehung steht. Auch das menschliche Leben ist Teil in diesem höchst komplexen Ökosystem, das aus unterschiedlichsten Teilsystemen besteht, die miteinander interagieren. 2
    Die »Ökologie« ist heute zu einem politischen Schlagwort geworden, wobei darunter in einem verkürzten Verständnis »Umweltschutz« gemeint ist. Tatsächlich entstand
der Umweltschutzgedanke erst aus dem Verständnis der umfassenden Vernetzung unterschiedlichster Bereiche des pflanzlichen und tierischen Lebens. Dadurch wurde ersichtlich, in welcher Weise scheinbar harmlose Eingriffe sich zerstörerisch auf das Gesamtsystem auswirken können.
    Das systemische Paradigma geht also von einem komplexen Feld von Variablen aus, die in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Mechanische Ursache-Wirkungs-Beziehungen wandeln sich zu Vorstellungen von einem wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen Einflussgrößen. Besonders eindrucksvoll kann man solche multidimensionalen Betrachtungen in der neuen Meteorologie sehen. Hier werden Tausende voneinander unabhängige Daten gleichzeitig betrachtet, die jedoch wieder untereinander vernetzt sind und aufeinander einwirken. Diese werden in mathematischen Modellen miteinander verknüpft. Durch die simultane Berechnung der riesigen Anzahl von Variablen kann man zu einer wahrscheinlichen Voraussage des Wetters kommen. Allerdings geraten hier selbst Großcomputer oft an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, wie leider des Öfteren zu bemerken ist.
    In anderen Wissenschaftsbereichen zog das systemische Denken erst wesentlich später ein; in den Sozialwissenschaften erst mit zwei Jahrzehnten Abstand und noch deutlich später in der Psychiatrie und Psychotherapie. 3 Auch in der Medizin ist die systemische Betrachtungsweise vielfach noch in den Anfängen. Verschreibt beispielsweise ein Hausarzt fünf Medikamente, so geht er davon aus, dass jedes einzelne so auf den Körper einwirkt, als hätte er es alleine gegeben. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass die einzelnen Substanzen sich gegenseitig beeinflussen. Sowohl im Transport, in der Einwirkung auf die Zelle als auch im Abbau entstehen neue Wirkungen, die keine
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