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Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Titel: Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen
Autoren: Henriette Frädrich
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gesegnet sind – im Gegenteil, ich finde, richtig hübsche Babys (die zuckersüßen, herzerweichenden Exemplare mit Strubbellocken und großen Kulleraugen, die wir aus der Pampers-Werbung kennen) gibt es echt selten. Die meisten Babys sind, Entschuldigung und mit Verlaub, potthässlich: Knautschgesichter, Kanisterköppe, Schrumpelfüße, Sabberheinis, Furzknollen. Ich darf das übri- gens sagen, ich habe selbst ein Baby zu Hause.
    Bekannte von uns haben vor einiger Zeit ein Baby bekommen. Als sie die ersten Fotos ihres Lieblings per E-Mail rumschickten, lachte sich mein Teufelchen halb kaputt. Es prustete ungeniert
    los: »Guck dir dieses Kind an! Das ist ja das hässlichste Baby, das ich je gesehen habe!« Das Engelchen intervenierte sofort: »Das darfst du nicht sagen! Das ist ein absolutes Tabu! Jedes Baby ist ein Wunder und jedes Baby ist wunderschön!« Das Teufelchen lachte nur noch mehr: »Also, wenn das Baby wunderschön ist, dann ist eine Kartoffel ein Diamant.« Mit schlechtem Gewissen klickte ich die Babybilder wieder weg. »Auweia«, entfuhr es mir noch. Ja, definitiv hätte dieses Baby beim Casting für GNTB – Germany ?s next Topbaby – keinen Blumentopf gewinnen kön- nen. Es war irgendwie riesig, hatte einen feisten Gesichtsaus- druck und war mir auf den ersten Blick total unsympathisch. »Kann man denn ein Baby unsympathisch finden?«, fragte mich mein Engelchen schier entsetzt ob meines Abwehrverhaltens diesem kleinen, unschuldigen Wesen gegenüber. »Ja, man kann!«, gab ich trotzig zurück. Bei manchen Babys und Kindern denke ich nun
    mal sofort: »Boah, dich kann ich echt gar nicht leiden.« Politisch nicht korrekt, aber die Wahrheit. Unerzogene, dümmliche Gören gehören dazu sowie dicke Kinder und unförmige Babys.
    Generell verstehe ich nicht, warum Eltern Fotos von ihrem Neu- geborenen der breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Erstens sehen wenige Tage alte Babys immer schepp aus, alles noch ganz verschrumpelt und zerknautscht, und zweitens gleichen sich alle frisch angekommenen Erdenbürger tatsächlich irgend- wie. Ist halt ein Baby, so what.
    Jedenfalls stand bei besagten Bekannten einige Tage später dann der berühmt-berüchtigte Baby- Erstbesichtigungstermin an. Mit einstudiertem seligem Lächeln auf den Lippen und einem Wel- come-Plüschtier (das wahrscheinlich 47ste, welches der neue Erdenbürger von einfallsreichen Schenkern überreicht bekam) unterm Arm begrüßten wir den Winzling überschwänglich. Ich hatte insgeheim gehofft, dass das Baby vielleicht nur auf den Fotos so unschön daherkam, aber ich hatte umsonst gehofft. Meine Schauspielkünste waren also gefragt. Denn da lag er nun, der kleine, hässliche, dicke Wurm. (Ich bin echt so was von gemein, und mir tut es auch ehrlich leid!) Mein babybegeisterter Mann stürzte sich gleich auf ihn, nahm ihn an sich und knuddelte und herzte ihn. Mein Mann juchzte »Och, ist der süß, der ist ja süß, hach, ist der süß!«, und so weiter und so fort. Er kriegte sich gar nicht mehr ein. »Schau mal Schatz, wie süß der ist!«, und dann hielt er mir den Knubbel unter die Nase, und ich musste einstimmen in das Gesäusel: »Ja, herzallerliebst, ja sag mal, bist du ein feiner Kleiner! Hach, und so süße kleine Fingerchen!« Ich konzentrierte mich auf die Fingerchen, denn wenn man den Rest ausblendete, waren die Fingerchen wirklich niedlich. Jedenfalls war ich völlig konsterniert ob der Überschwänglichkeit meines Gatten und fragte mich, ob er das wirklich ernst meinte. Und so dutzelten wir noch eine Weile herum und bescheinigten den stolzen Eltern, dass sie da wirklich ein ganz entzückendes Menschlein fabriziert hätten.
    Zu Hause war mein Mann immer noch ganz beseelt vor Babyglück. Ich hatte mir vorgenommen, meine Abneigung für mich zu behalten, denn das warf ja kein gutes Licht auf mich (Menschen, die Babys doof finden, sind schlechte Menschen). Aber der Drang, einen fiesen, gehässigen Kommentar loszulassen, war größer. Sie kennen das, wenn man bei Freunden war, später im Auto dann, sobald man um die Ecke gebogen ist, geht es mit dem Lästern los: »Also die Lisa ist echt ganz schön fett geworden« oder »Boah ging mir der Carsten auf die Eier mit seinem ständigen Gerede über den Kapitalismus« oder »Der Nachtisch hat ja überhaupt gar nicht geschmeckt«. Und man kann gar
    nicht an sich halten und ergötzt sich regelrecht an den eigenen Gehässigkeiten. Jedenfalls platzte ich am Abendbrottisch mit einem
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