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Familienpackung

Familienpackung

Titel: Familienpackung
Autoren: Susanne Fröhlich
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Station ist zwar nicht die Innenstadt, aber ich glaube, so wählerisch kann ich in meiner momentanen Situation leider nicht sein. »Okay«, antworte ich, die Aussicht, diesen Ort des Grauens zu verlassen, ist ausgesprochen verlockend, obwohl ich, wenn ich die Wahl hätte, mich am liebsten einfach in Luft auflösen oder die Uhr um zwei Stündchen zurückdrehen würde. Unter den Augen des gesamten S-Bahn-Wagens verlasse ich, wie eine Delinquentin auf dem Weg zum Schafott, die S-Bahn. Die RTL -Tante begleitet uns. Die Kindergartenputzpetze erhebt sich ebenfalls. »Isch komm mit, damit Sie misch als Zeugin uffnehme könne«, bietet sie geifernd an. Zum Glück erhebt jetzt erstmals die Kontrolleurin die Stimme. »Vielen Dank, das ist nicht nötig, wir haben genug von Ihnen gehört«, gibt sie der Hexe eine Abfuhr. Die ist sichtlich enttäuscht, grummelt: »Wie Sie meine, bitte sehr, mer will ja nur helfe, dem Staat un so«, und ruft mir ein »mir sehe uns, mir zwei« hinterher. »Ich freue mich schon ganz doll«, rufe ich zurück.
    Auf dem Bahnsteig dann Verhör zweiter Teil. Man könnte meinen, ich hätte die S-Bahn entführt oder mehrere Bahnhöfe abgefackelt. Aber es scheint, als hätte die Kontrolleurin Mitleid. »Wenn Sie vierzig Euro zahlen, dann ist das Thema erledigt«, bietet sie mir an. Ich krame meine Brieftasche raus und finde genau 33 , 80  Euro. Zu wenig. »Nehmen Sie auch Kreditkarten?«, frage ich nach. »Nein, leider nicht«, bleibt sie weiterhin nett, »vielleicht können Sie jemanden anrufen, der sie abholt und zahlt.« Anrufen, prima Vorschlag, aber wen? Meine Eltern, das geht gar nicht. Aus
dem Alter bin ich nun echt raus. Meine Schwester? Auf den Hohn und Spott kann ich gut verzichten. Ich versuche es bei meinem Bruder. Es antwortet die Mailbox. Meine Güte, da hängt der den ganzen Tag am Handy, und dann rufe ich einmal an und der Kerl geht nicht dran. Wahrscheinlich hätte er eh keinen Euro parat gehabt. Der ist ständig pleite. »Ich brauche deine Hilfe, ruf mich schnell an«, spreche ich ihm auf Band. »Mein Bruder ist nicht da«, informiere ich die Kontrolleure.
    »Habe Sie kaan Mann?«, fragt mich der Kontrolleur. Er schaut mich entsetzt an. Schwarzfahren und dann noch keinen Gatten, da tun sich für den Typ Abgründe auf. »Doch«, sage ich, »natürlich«, und wähle schon zum Beweis sofort Christophs Nummer. Es meldet sich das Vorzimmer. »Hallo, hier Andrea Schnidt, ich hätte gerne mal meinen Mann gesprochen«, komme ich direkt zur Sache. Manchmal halten Frau Trundel und ich erst noch einen netten Plausch, aber so viel Muße habe ich heute nicht. »Was gibt es denn, der ist in einer Sitzung«, antwortet die Vorzimmerdame. Hockt der eigentlich von morgens bis abends in Sitzungen? Wann arbeiten die wohl mal was? »Also es ist echt wichtig und dringend und es eilt, ich muss ihn einfach jetzt sprechen.« »Gut dann stelle ich rein«, sagt Frau Trundel und verbindet mich. »Was gibt es denn?«, ist seine wenig charmante Begrüßung. Er spricht leise, was darauf hindeutet, dass er nicht allein ist. »Ich brauche sechs Euro zwanzig«, sage ich. Er ist begriffsstutzig. »Und deswegen rufst du mich an, bist du verwirrt, ich bin nicht die Bank oder ein Geldautomat.« »Verdammt«, schreie ich, »ich stehe am Westbahnhof und die Kontrolleure wollen sofort ihr Geld, ich bin ohne Fahrkarte gefahren. Und ich habe nur dreiunddreißig Euro dabei
und nach Hause will ich auch wieder. Und überhaupt ist das alles ganz schlimm.« »Andrea«, sagt er, »sag, dass das ein Witz ist.« »Nein, nein, nein«, betone ich, »das ist überhaupt kein Witz. Es ist sozusagen mein totaler Ernst. Bitte hol mich. Rette mich. Schnell.« Die Antwort ist ein langes, langes Stöhnen. Dann Räuspern und dann: »Andrea, wie stellst du dir das vor, ich kann hier nicht weg. Gib deine Personalien an und wir reden später.« Jetzt ist es so weit. Ich fange doch noch an zu heulen und lege auf. Mein eigener Mann, auch noch seines Zeichens Rechtsanwalt, lässt mich beim ersten größeren Problemfall in unserer Ehe einfach im Stich. Ich bitte ihn, erstmals in unserer Beziehung übrigens, mich zu retten und er sagt: »Ich kann hier nicht weg.« Das ist ja fast noch schlimmer, als beim Schwarzfahren erwischt werden. »Mein Mann kann nicht«, schluchze ich. Die RTL -Tante pirscht sich heran. »Hören Sie auf, ich will das nicht«, habe ich trotz dichtem Tränenschleier einen lichten Moment. »Lassen Sie Ihren Gefühlen ruhig freien Lauf,
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