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Familienpackung

Familienpackung

Titel: Familienpackung
Autoren: Susanne Fröhlich
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man’s ja mal. Zwei Stationen später geht’s mir schon besser. Man gewöhnt sich ans Bösesein.
    An der dritten Haltestelle, Rödelheim Bahnhof um genau zu sein, beginnt das Grauen. »Die Fahrausweise bitte«, schallt es durch die Bahn. O nein. Wie komme ich hier bloß raus? Ich versuche mich zu beruhigen, überlege wie im Wahn, welche Ausrede angebracht wäre. Kein Kleingeld, Monatskarte vergessen oder Ähnliches ist doch arg profan und unglaubwürdig. Ich habe noch nicht zu Ende gedacht, da stehen sie schon vor mir. Drei Kontrolleure. Zwei Kerle und eine Frau, die mich nett anlächelt. Noch. »Ihre Fahrkarte bitte«, sagt einer der Männer freundlich. Ich fange an zu wühlen, werde knallrot bis zu den Ohren, habe das
Gefühl, in wenigen Sekunden einfach umzukippen und beginne meinen Stammelmonolog, »Tja also, ich finde sie irgendwie nicht.« Unterstützend wühle ich manisch in meinen Taschen und versuche, unschuldig zu gucken. Sehr elegant ist das nicht, aber was Besseres fällt mir leider nicht ein. »So, so«, sagt der erste Kerl nur und wiegt bedächtig den Kopf.
    »Isch hab eine«, brüllt der andere Kerl daraufhin fast begeistert durch den gesamten Wagen und da sehe ich auch schon das Licht. Eine Kamera mit einem kleinen Scheinwerfer und ein blonde Tussi mit Mikrophon. Ist das hier ›Verstehen Sie Spaß‹ oder was? »Was wollen die denn da?«, frage ich den ersten Kerl. »Die mache ’ne Reportasche zum Thema Schwarzfahrer för RTL Explosiv«, informiert er mich stolz. Das fehlt ja noch. »Ich fahre nicht schwarz, sondern ich finde meine Fahrkarte einfach nur nicht«, sage ich so ruhig und entspannt wie irgendwie möglich. »Des sache se alle«, triumphiert der zweite Kerl und zwinkert der Reportertussi zu. Die sieht ihren Moment gekommen, schiebt mir das Mikro unters Kinn und fragt mit einem unterschwelligen Grinsen: »Wieso fahren Sie denn schwarz?« Jetzt langt es aber. Ich bin schon fast selbst davon überzeugt, meine Fahrkarte verschlampt zu haben, so angegriffen fühle ich mich. »Ich finde sie nicht«, insistiere ich nochmal. »Ich habe sie noch eben gezogen und jetzt ist sie weg«, heuchle ich mir einen ab.
    Da mischt sich doch glatt eine Frau, zwei Reihen vor mir ein. Wir haben sowieso recht stattliches Publikum. Keiner will sich das Spektakel entgehen lassen. »Sie, Sie sind doch eben einfach in die Bahn gesprunge, ich hab Sie net am Automate gesehen. Un ich bin an derselbe Haltestell los.«
Na prima. War die in ihrem früheren Leben bei der Stasi oder hat die zu viel Aktenzeichen XY gesehen? Ich hasse solche Leute. Gilt so was mittlerweile als Zivilcourage? Die RTL -Tante, aufgetakelt, als wäre sie bei einer Gala und nicht in einer schnöden S-Bahn, dreht sich für einen Moment von mir weg und hält der Petzliese das Mikrophon unter die Nase. »Würden Sie das nochmal wiederholen, das, was Sie gesehen haben?«, fordert sie die Frau auf. Die fühlt sich inzwischen, als wäre sie Kronzeugin eines Kapitalverbrechens und holt jetzt erst so richtig aus. »Isch kenn die Frau und isch hab alles gesehe. Die war net am Automate und hat aach kaa Fahrkart gezoge. Un unner uns, die haben werklisch genug Geld, um ’ne Fahrkart zu bezahlen. Aber des is ja typisch. So Leut bedrüge dann noch de Staat.« Hilfe, wer ist denn diese Wahnsinnige? Ihr Gesicht kommt mir vage bekannt vor. »Was reden Sie denn da«, unterbreche ich die Frau, »kennen wir uns?«, frage ich nochmal nach. Man weiß ja nie. »Sie kenne misch wahrscheinlisch net, aber isch Sie. Un Ihr Kind aach. Die verwöhnte Grott. Leut wie Sie übersehe ja gern Leut wie misch. Isch putz im Kinnergarten, wo Ihne ihrn Frau Tochter hingeht. Un isch bezahl mei Fahrkart. Immä. Obwohl isch es net so dicke hab wie Sie.« Scheiße. Scheiße. Scheiße. RTL und dazu die Kindergartenputzfrau. Welch eine unheilvolle Kombination. Morgen weiß es das ganze Kaff. Na bravo. Die RTL -Frau ist kurz vor der Ekstase. Schwarzfahrerin und dazu noch einen Hauch Klassenkampf. »Jetzt langt es aber«, sage ich und betone nochmal, dass ich meine Fahrkarte schlicht nicht finde. »Gelochen, alles voll geloche«, schreit die Frau aus dem Kindergarten, und ich schreie zurück, »Gar nicht gelogen«, und bin kurz davor zu heulen oder die Frau sehr doll zu hauen. So hatte
ich mir meinen gemütlichen Ausflug in die Stadt nicht vorgestellt. »Genug«, sagt der ruhigere der beiden Kontrolleure, »an der nächsten Station steigen wir alle aus und klären die Sache.« Die nächste
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