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Falsche Väter - Kriminalroman

Falsche Väter - Kriminalroman

Titel: Falsche Väter - Kriminalroman
Autoren: Hermann-Josef Schüren
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beim
Streichholzziehen den Kürzeren gezogen. Es ist nicht sein Wagen. Er startet den
Motor. Nieselregen fällt, und die Straße spiegelt das Licht der Scheinwerfer.
Es ist 21.24 Uhr. Der Wagen setzt sich in Bewegung .
    Eine graue Staubwolke stieg auf, als Conrad van de Loo sich auf den
Fahrersitz fallen ließ. Obwohl irgendwelche Drahtspitzen sich in seinen Rücken
bohrten, streckte er die Arme aus und umfasste das schmutzige Lenkrad. Es ließ
sich nicht bewegen, genauso wenig wie die Fensterkurbel. Auch Kupplung und
Bremse funktionierten nicht mehr. Der Hundertneunziger roch nach Rost und
Vergangenheit. Er war seit Jahren nicht mehr bewegt worden, und van de Loo
konnte sich nicht einmal erinnern, wo er den Schlüssel deponiert hatte.
    Er wischte die Staubschicht vom Rückspiegel, betrachtete sein
Gesicht und war nicht sonderlich zufrieden mit dem, was er sah. Es lag nicht
nur an den Falten, den größer werdenden Tränensäcken und seinen glanzlosen
Augen. Auch nicht daran, dass er zugenommen hatte in den letzten Jahren. Es war
mehr. Es war das ganze Leben, die eintönige Zufriedenheit, in der er sich
eingerichtet hatte. War das bei allen so, die mehr als ein halbes Jahrhundert
auf dem Buckel hatten? Früher hatte eine geheime Kraft ihn auf Trab gehalten,
und er hatte immer zu wenig Zeit gehabt, seinen Erfahrungshunger zu stillen.
Heute hatte er oft nicht die geringste Ahnung, was er mit seiner Zeit anfangen
sollte.
    Was ist eigentlich mit mir passiert?, fragte er sich.
    Er schloss die Augen und lehnte sich zurück. Seine rechte Hand
erinnerte sich augenblicklich daran, wie es gewesen war, den Zündschlüssel zu
drehen und den Knopf zu ziehen, mit dem der Diesel vorgeglüht wurde. Es war
wieder da, das vertraute Gefühl, und van de Loo spielte in Gedanken mit dem
Gaspedal. Dann versetzte er sich und den Hundertneunziger auf die Straße, legte
den ersten Gang ein und beschleunigte. Der Wagen nahm Fahrt auf, und van de Loo
schob genüsslich die Gänge ein. Jetzt konnte er auch das Seitenfenster
herunterkurbeln, sodass der Geruch der Vergangenheit verschwand. Stattdessen
strömte frische, niederrheinische Luft in den Innenraum. Ein Gemisch aus satter
Erde, feuchtem Gras und moosiger Baumrinde, gewürzt von einem salzigen Wind,
der aus Holland herüberwehte und die Alleebäume zum Rauschen brachte.
    Van de Loo trat das Gaspedal durch. Mit einem Mal gab es für ihn
keine Grenzen mehr, keine Zweifel oder Hindernisse. Er fuhr, und nichts stand
seinen Träumen im Weg. Er war allein unterwegs, die Straßen wie leer gefegt. Es
kam ihm vor, als seien die glatten Asphaltbänder eigens für ihn verlegt worden.
    Erst im letzten Augenblick sah er den Anhänger. Er tauchte hinter
einer Kurve auf. Irgendein Bauernlümmel fuhr verboten langsam und mitten auf
der Straße, als würde die Welt ihm allein gehören. Van de Loo ging in die
Eisen. Mit knapper Not schaffte er es, den Wagen rechtzeitig zum Stehen zu
bringen. Er bearbeitete die Hupe. Der Traktorfahrer fuhr noch langsamer und
hielt schließlich an.
    Van de Loo ahnte nichts Gutes. Manche Burschen aus der
Landwirtschaft warteten nur auf eine Gelegenheit, Streit anzufangen und ihre
Fäuste fliegen zu lassen. Er wollte so schnell wie möglich weiter, aber es gab
kein Vorbeikommen. Zurücksetzen konnte er auch nicht, denn der Gang klemmte.
Wie benommen starrte er auf den Anhänger, der sich jetzt rückwärts in Bewegung
setzte und unerbittlich näher kam. Als er die Stoßstange berührte, wurde van de
Loo durchgeschüttelt. Gleichzeitig öffnete sich die Ladeklappe des Anhängers.
Irgendwelches Gemüse kam ins Rutschen, klatschte auf die Kühlerhaube des
Hundertneunzigers und prasselte gegen die Scheibe.
    »He!«, schrie van de Loo. »Was soll das?«
    Er riss die Hände hoch, um sein Gesicht zu schützen, und erwachte
aus seiner Träumerei. Dicke Tropfen schlugen wie Bomben auf der schmutzigen
Windschutzscheibe ein. Es hatte zu regnen begonnen. Das Schuppendach musste
undicht sein.
    »Kartoffeln«, flüsterte van de Loo. »Dieser Kerl hatte Kartoffeln
geladen! Ich muss sofort zu Tante Gertrud!«
    Er stieß die Fahrertür auf. Beim Aussteigen blieb er mit dem Hemd an
einem Draht hängen. Er hörte, wie der Stoff nachgab, stolperte aber dennoch
weiter zum Tor, lief über den gepflasterten Hofplatz, durchquerte den
ehemaligen Kuhstall, in dem nur ein paar alte Fahrräder standen, und riss wenig
später die Küchentür auf. Van de Loo starrte auf den Tisch und die Stühle. Sie
waren
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