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Falsche Schritte, dunkle Pfade (German Edition)

Falsche Schritte, dunkle Pfade (German Edition)

Titel: Falsche Schritte, dunkle Pfade (German Edition)
Autoren: Andreas Kimmelmann
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Gefahr, doch noch von Kerner gefunden zu werden. Er musste doch so schnell wie möglich verschwinden!
    „Bitte, helfen Sie ihm doch!“, flehte die Dame Philipp an.
    Konnte er wirklich nach Prag fliegen in der Gewissheit, dass er hier einen Menschen hatte sterben lassen? Noch einen? Er, der als Arzt ohnehin schon genug versagt hatte? Er dachte an seinen Vater, der Medizinprofessor gewesen war. Er würde sich heute wohl schämen für seinen Sohn, der betrunken in Operationssäle ging und einen schwerkranken Mann am Flughafen seinem Herzinfarkt erliegen ließ, um sein jämmerliches Leben aus einer Situation zu retten, in die er sich selbst gebracht hatte.
    „Jeder Mensch hat seinen Platz im Leben“, hatte er immer gesagt. „Jeder hat seinen Auftrag. Und Auftrag verpflichtet."
    Ein Glück, dass sein Vater schon lange tot war. Die Schande war ihm erspart geblieben.
    „Was ist denn los?“, riss ihn die Frau aus seinen Gedanken. „Warum wollen Sie ihm denn nicht helfen?“
    Philipp beschloss, sich die Sache zumindest anzusehen. Wenn es wirklich eine Falle war, konnte ihn der Mann ja nicht gleich hier in der Abflughalle erschießen. Schließlich sähe er als Arzt sofort, ob es ein echter Herzinfarkt war. Wenn nicht, musste er eben die Beine unter die Arme nehmen.
    Er lief an der Dame vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen und besah sich stattdessen den am Boden Liegenden.
    Er trug keine Waffe, das sah Philipp sofort. Drei Jahre in Kerners Gegenwart hatten sein Auge geschult. Aber was, wenn die Waffe im Aktenkoffer war? Philipp schüttelte den Gedanken ab. Viel wichtiger: eine Falle war das auf keinen Fall. Der Mann hatte wirklich einen Herzinfarkt, soviel stand fest. Der Schweiß in seinem Gesicht war echt, ebenso das verzweifelte Verkrampfen. Es ging um Leben und Tod. Philipp mochte noch so ein schlechter Arzt gewesen sein, hiervor konnte er nicht davonlaufen. Wenn es ihn auch alles kosten sollte: diesen Patienten musste er retten. Es war die letzte Möglichkeit für ihn, zumindest ein bisschen Selbstachtung zu behalten.
    „Auftrag verpflichtet“, murmelte er.
    „Quatschen Sie doch nicht!“, herrschte ihn die alte Frau an. „Er verliert das Bewusstsein, sehen Sie das nicht?“
    Sie hatte recht. Sein Verfolger hatte das Krampfen aufgegeben und lag nun völlig ruhig da. Philipp musste schnell handeln. Er kniete sich neben den regungslosen Körper und lauschte an Mund und Nase.
    „Er atmet nicht“, sagte er, mehr zu sich selbst als zu der Frau. Dann, zu er Frau gewandt: „Holen Sie Hilfe. Jemand muss einen Krankenwagen rufen.“
    „Das hab ich bereits getan“, sagte einer der Sicherheitsbeamten, die hinzu gekommen waren.
    „Gut“, sagte Philip, während er den Puls des Mannes befühlte, ihn aber nicht spüren konnte. „Es hat nicht mehr viel Zeit.“
    Er kippte den Kopf seines neuen Patienten nach hinten und beatmete ihn zweimal. Danach begann er mit der Herzmassage.
    „1 ... 2 ... 3 ...“
    Er musste wieder daran denken, wie er als Junge zu seinem Vater aufgesehen hatte, wenn dieser seinen weißen Kittel angehabt hatte.
    „7 ... 8 ... 9 ...“
    Wie stolz sein Vater zum letzten Mal auf seinen Sohn gewesen war, als er ihm eröffnet hatte, dass er auch Medizin studieren wollte.
    „15 ... 16 ... 17 ...“
    Die Enttäuschung seines Vaters, als er den 3,1-Schnitt im Abitur gehabt hatte, ohne eine Chance, den gewünschten Studienplatz in Medizin zu bekommen.
    „21 ... 22 ... 23 ...“
    Zwei Wochen später war sein Vater tot gewesen. Ein Herzinfarkt, genau wie dieser Mann hier. Hoffentlich konnte er den wenigstens retten.
    „24 ... 25 ... 26 ...“
    Sein Vater konnte nicht mehr erleben, wie er sich danach reingehängt hatte. Die Überbrückung der Wartezeit als Zivildienstleistender beim Rettungsdienst und mit einer anschließenden Ausbildung zum Rettungsassistenten. Und schließlich den Erhalt des Studienplatzes in Medizin, zwar nicht des ersehnten an der LMU München, aber immerhin. Er war Arzt geworden, wie sein Vater.
    „27 ... 28 ... 29 ...“
    Es hatte ihn jahrelang verfolgt, dass er seinem Vater nicht mehr von seinen Erfolgen berichten konnte. Er war gestorben in der Gewissheit, dass sein Sohn ein Versager war und niemals Arzt werden würde. Das Schlimme war nur, hätte sein Vater noch einige Jahre gelebt, seine Meinung von seinem Sohn als Arzt wäre trotzdem nicht sehr hoch gewesen. Zu Recht.
    „30!“, rief er aus.
    Dann fühlte er abermals den Puls. Er war wieder da, wenn auch
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