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Falsche Froesche

Falsche Froesche

Titel: Falsche Froesche
Autoren: Sandra Schoenthal
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nicht schwer. Bisweilen, wenn Sie bereits mehrfach genossene Geschichten an der Einleitung erkannten, wäre Ihnen beinahe ein »Du, das hast du mir schon erzählt« herausgerutscht, doch unterdrückten Sie den herzlosen Impuls. Manches Erlebnis will immer wieder geschildert werden, bis es verkraftet ist. Sensible Menschen verlangen einen sanften Umgang.
    Auch Sie sind ein sensibler Mensch. Und fänden es schön, hie und da ähnlich ausschweifend zu Wort zu kommen. Als er den Abend, an dem seine Mutter sich weigerte, die bei einem Fahrradunfall erlittene Schürfwunde am linken Knie sofort zu verbinden, da sie ihr Cocktailkleid nicht mit Blut beschmutzen wollte, und das Kind zwecksVerarztung an den Vater verwies, das fünfte Mal zum Besten gibt, schalten Sie ab. Wie viel weiß er von Ihnen, wie gut kennt er Ihre Seele?
    Dass Sie dazu neigen, Probleme im Alleingang zu lösen, kann man nicht ihm anlasten. Dass er in Hunderten Stunden des Beisammenseins nicht die klitzekleinste Frage nach Ihrer Befindlichkeit gestellt hat, schon eher. Die Erkenntnis stößt Ihnen, derweil der Geliebte fleißig monologisiert, von tief im Magen sauer auf. Pro zehn gemeinsam verbrachten Minuten redet prinzipiell neuneinhalb er. Unter Konversation verstehen Sie etwas anderes.
    Die Offenherzigkeit, die er durch sein Vertrauen bei Ihnen angestoßen hatte, erlischt. Nicht weil er versteht und auf Sie eingehen will, unterbricht er Erzählungen im Ansatz, Ihre Anliegen interessieren ihn nicht. Es sind nicht Parallelen, die er findet, sondern Aufhänger für seine eigenen Geschichten. Sie verlieren die Lust, sich mitzuteilen, und verstummen.
    Zunächst gewöhnen Sie sich ab, das Gähnen zu unterdrücken. Befreiend, aber sinnlos. Nie im Leben käme dem Sprecher die Idee, Ihre Ermattung könnte mit seinem Palaver zusammenhängen. Während Sie versuchen, das Gequatsche als plätscherndes Hintergrundgeräusch, als Radio, leider ohne Knopf, zu betrachten, hängen Sie Ihren Gedanken nach. Rekapitulieren das Muster Ihrer Treffen und erkennen: Der Mann ist ein Vampir. Gleich wie gequält, deprimiert oder sonstwie schwächelnd er anmarschiert, nach der Sitzung mit Ihnen erfreut er sich bester Laune. Wie ein frisch aufgeladener Akku hüpft er zurück in seinen Tag, während Sie auf allen vieren erschöpft von dannen kriechen.
    An die Stelle Ihrer Müdigkeit tritt Wut. Sind Sie eine Therapeutin? Mit Ihrem Partner möchten Sie vielleicht ein bisschen scherzen, lachen, Leben spüren, nicht nonstop gratis coachen. Die Heiterkeit kommt früher, als Sie dachten.
    Man sitzt in einem Café, der Liebste hängt entspannt im Sessel und hält einen seiner berühmten Monologe. Nun wagen Sie ein kleines Experiment. Sie zücken Ihr Notizbuch und bringen die To-do-Liste auf den neuesten Stand. Vielleicht geht ihm ein Licht auf. Tatsächlich. Er bedankt sich, dass Sie mitschreiben, das findet er total rührend. Sie lachen schallend, so laut, dass die anderen Gäste die Köpfe wenden, um den Mann zu betrachten, der eine Frau dermaßen trefflich unterhalten kann. Die leicht irritierte Frage nach dem Grund Ihrer Fröhlichkeit, sein Vortrag war doch tristen Inhalts, beantworten Sie mit gespielt ahnungslosem Schulterzucken, worauf der Unbeirrbare den Faden wieder aufnimmt.
    Während Ego-Referate Sie bloß anöden, empfinden Sie das Bombardement mit ungebetenen Empfehlungen als lästig, schließlich beleidigend. Sie finden sich und Ihr Leben im Großen und Ganzen gelungen, was man von seinem nicht behaupten kann.
    Sie haben einen bestens dotierten P R-Job , der begnadete Grafiker hangelt sich von einem mickrigen Projektauftrag zum anderen. Beruf Genie, gescheitert am Neid der Konkurrenten. Mit der Loser-Masche kommt man nicht nach oben. Bezahlt wird nach Leistung, nicht nach Mitleid. Aber demnächst wird er ja mit seinem Geheimprojekt die Welt retten. Viel Erfolg.
    Sie verstehen sich ausgezeichnet mit Ihren Eltern, er ist mit der ganzen Familie zerstritten. Und das, begreifenSie mittlerweile, liegt weder an der fürchterlichen Mutter noch am grausamen Vater. Vielmehr sind beide, wie Sie bei mehreren Treffen feststellen konnten, recht sympathisch. Auch verfügen weder Schwester noch Bruder, die schließlich dieselbe Erziehung wie Ihr Lover genossen, über den Dachschaden, der ihn auszeichnet. Und das Märchen von den Frauen, die er reihenweise verließ, kostet Sie heute, da Sie ihn kennen, ein müdes Lächeln.
    Eines Nachmittags, nach dem Krankenhausbesuch bei Ihrer besten
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