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Falsch

Falsch

Titel: Falsch
Autoren: Gerd Schilddorfer
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sein mochte. Aber das war nicht wichtig. Als er sich aufrichtete, erblickte er die Schatulle mitten im Raum, unversehrt und schwarz glänzend. Er humpelte hinüber, ignorierte die Schmerzen in seinem Unterleib und hob das kleine Kästchen hastig auf. Mit einem Ende seines löchrigen T-Shirts wischte er behutsam den Staub ab, lauschte aufmerksam nach draußen und tastete dann schließlich erneut nach dem Schlüssel an seinem Hals. Er zog ihn von der Schnur ab und schloss auf.
    Die alten Scharniere quietschten leise, als der Deckel nach oben klappte, und der dunkelrote Samt leuchtete ihm so frisch entgegen wie am ersten Tag. Der Anblick der drei Gegenstände, die klein und unscheinbar in einer Ecke der Schatulle lagen, ließen die Augen des Alten aufblitzen.
    »… And let slip the dogs of war «, murmelte er, als er mit seinen gichtigen Fingern das Papierröllchen, den flachen Schlüssel und den Ring aus ihrem Versteck holte.
    Achtlos warf er das leere Kästchen aufs Bett und stolperte zu dem Käfig mit seinen geliebten Tauben. Es waren zwei braunweiße und ein grauer Vogel, groß und kräftig, gut genährt und makellos sauber. Der Alte steckte seine zitternde Hand in den Käfig und strich zärtlich über das Gefieder seiner aufgeregt trippelnden Lebensgefährten. Würden sie sich noch erinnern, an die weit entfernten Ziele, die fremden Städte, oder waren die Reisen vergebens gewesen? Er hatte mit Geduld und Beharrlichkeit den Vögeln Dinge beigebracht, die außergewöhnlich waren. Sein gesamter Lohn aus den nahe gelegenen Smaragdminen war nach und nach dabei draufgegangen, die langen Flugreisen zu bezahlen. Und auch das übrige Geld …
    Ein Geräusch ließ ihn hochschrecken. Misstrauisch legte er den Kopf schief. Irgendwo auf der Lichtung hatte ein Ast geknackt. Hatten die anderen ihren Schrei gehört? Er spürte, wie seine Zeit ablief, immer deutlicher. Rasch befestigte er das Papierröllchen, dann den Schlüssel an den Füßen der braunweißen Tauben. Endlich war der Ring an der Reihe. Er drehte ihn in seinen Fingern, sah die beiden Steine blitzen, strich mit seinem zerfurchten Daumen über die alten Symbole und spürte das Gewicht des Silbers. Der Ring fühlte sich kühl an und glänzte geheimnisvoll in der einbrechenden Dunkelheit. Mit schnellen Griffen streifte der alte Mann ihn der grauen, der stärksten seiner Tauben, über den Fuß und befestigte ihn sicher.
    Als er fertig war, saßen die Tauben nebeneinander auf dem offenen Käfig und blickten ihn neugierig an.
    Er wurde unsicher.
    Keiner der Vögel machte Anstalten, davonzufliegen …
    Dann brach mit einem Mal das Chaos über die kleine Hütte herein. Mit einem lauten Krachen wurde die Tür eingetreten und Männer stürmten in den Verschlag, Männer, so alt wie er. Grauhaarig oder mit Glatze, untersetzt, die meisten in Jeans und T-Shirts. Die kurzen Sturmgewehre wollten nicht recht zu ihnen passen. Eine Gehhilfe wäre in den Augen mancher Beobachter angemessener gewesen, doch das täuschte.
    Die Lichtkegel von einem halben Dutzend starker Taschenlampen irrten durch die Hütte, blieben erst an der Leiche des Mädchens hängen, dann fingen sie schließlich die Figur des gebrechlichen, alten Mannes ein.
    Erschreckt durch die Eindringlinge waren die Tauben aufgeflogen, flatterten aufgeregt in der Hütte herum, hinauf unter das Wellblechdach und wieder zurück zum Käfig, dann zur Tür, verängstigt einen Ausweg aus dem engen Raum suchend, während die Männer ihrerseits auf Englisch durcheinanderriefen, nach den Vögeln schlugen und von draußen der Rotorenlärm eines landenden Hubschraubers zu hören war.
    Der alte Mann blickte den Bewaffneten ruhig entgegen. Er vermied es absichtlich, den Tauben nachzusehen, die eine nach der anderen die Tür gefunden hatten und nun im violetten Abendlicht verschwanden, wie er erleichtert feststellte.
    Die Eindringlinge stutzten erst und stürzten dann hastig zurück ins Freie, rissen die Waffen hoch und schossen den Vögeln hinterher. Aber die hereinbrechende Nacht machte ein genaues Zielen unmöglich. Die Tauben verschwanden zielstrebig in Richtung Osten über den Bäumen, verschmolzen mit der Dunkelheit und waren nur mehr Schemen, die sich schnell in Nichts auflösten.
    Als die Männer die Sturmgewehre herunternahmen und laut fluchend wieder in die Hütte stürmten, fanden sie den alten Mann sterbend auf dem Boden liegen. Er hatte sich mit seiner Machete die Kehle durchgeschnitten, sein Blut kam stoßweise und tränkte
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