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Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz

Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz

Titel: Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Autoren: Jennifer Fallon
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walten ließ.
    Die Stille, die auf die Frage des Kerkermeisters folgte, machte Cayals letzte Chance zunichte, dass das Urteil nicht sogleich vollzogen würde. Gleich darauf hallten klobige Stiefel auf den hölzernen Planken des Schafotts, und eine behandschuhte Hand legte sich schwer auf seine Schulter.
    »Bist du bereit?«
    Und wenn ich jetzt nein sage?, fragte sich Cayal. Was macht er dann? Warten, bis ich in Stimmung hin?
    »Ich will geköpft werden«, protestierte er, die Stimme vom Leinensack gedämpft. »Mich aufzuhängen ist reine Zeitverschwendung.«
    »Vergibst du mir?«, fragte der Henker fast unhörbar leise. Cayal beschlich das Gefühl, dass von all den rituellen Fragen, die der Henker seinen Opfern stellte, ihn nur die Antwort auf diese eine wirklich interessierte.
    »Das ist unnötig«, versicherte ihm Cayal.
    Da er durch den Sack nichts sehen konnte, wusste er nicht, wie der Henker auf seine Antwort reagierte, aber ehrlich gesagt war ihm das auch schnuppe. Cayal hatte mit Vergebung schon lange nichts mehr am Hut. Er war längst jenseits der Verzweiflung. Nur um ganz sicher zu gehen, sondierte er einmal kurz im Geiste, ob nicht doch ein kleiner Rest seiner Macht verfügbar war. Doch da war nichts. Die magische Kraft der Gezeiten, über die er gebieten konnte, hatte sich spurlos verflüchtigt. Seine Magie würde ihm die schrecklichen Schmerzen nicht ersparen, die auf ihn zukamen …
    Noch ehe er den Gedanken zu Ende geführt hatte, schwang unter ihm die Falltür auf, und er fiel hinab wie ein Stein.
    Gnadenlos straffte sich das Seil und schnürte ihm die Luft ab. Cayal zuckte wild und schlug um sich, als der plötzliche Ruck ihm die Luft aus den Lungen presste. Der Knoten unter dem linken Ohr renkte ihm den Kiefer aus, und dann brach mit einem hörbaren Knacken sein Genick.
    In wilder Verzweiflung zappelte Cayal am Ende des Seiles, strampelte, würgte und hoffte, er würde sterben. Denn jetzt schien der Tod nicht so weit entfernt. Seine Augen tränten vor Schmerz. Seine gequälte Seele brüllte auf und flehte den Tod an, sich seiner zu erbarmen. Konnten seine wilden Zuckungen die Aufgabe des Henkers vollenden? Seine Qual war unvorstellbar. Schummer als jede nur erdenkliche Folter. Vor seinen Augen tanzten weiße Lichtpunkte, sein Herz raste, unerträgliche Schmerzen zuckten ihm wie Blitze durch Kiefer und Hals, er konnte nicht atmen …
    Cayal schrie auf in einer Sprache, die in Glaeba schon lange niemand mehr kannte, flehte die Mächte der Finsternis an, ihn endlich zu holen … und dann, mit dem allerletzten Rest Atem, der ihm noch geblieben war, wurde sein Schrei zu einem verzweifelten Heulen. Sein Todeskampf dauerte schon viel zu lange.
    Die letzte Luft in seinen Lungen war aufgebraucht. Seine Gurgel war zerquetscht. Sein Genick gebrochen.
    Und immer noch lebte er.
    Lange, lange Zeit ließen sie ihn hängen.
    Schließlich war es der nervöse Adjutant, der befahl, den Hingerichteten abzuschneiden.
    Mit einem Rums schlug Cayal hart auf dem Boden auf und blieb im Schlamm liegen. Als sich die Schlinge endlich lockerte, holte er röchelnd Atem, füllte mühsam seine Lungen. Und schon spürte er den Schmerz, mit dem sein ausgerenkter Kiefer, sein zerquetschter Kehlkopf und sein gebrochenes Genick von selbst zu heilen begannen.
    »Bei den Gezeiten!«, hörte er den Adjutanten rufen, als man ihm den Leinensack vom Kopf riss. »Der lebt immer noch!«
    Auch der Henker beugte sich über ihn, in seinem Gesicht stand das helle Entsetzen. »Wie kann das sein?«
    Mit schmerzenden Augen blinzelte Cayal im grellen Licht der Frühlingssonne und sah zu den Männern auf. Raue Gesichter, die ihn ohne jedes Mitgefühl anstarrten, füllten sein Blickfeld.
    »Ich kann nicht sterben«, krächzte er durch seinen zerquetschten Kehlkopf und den ausgerenkten Kiefer. Selbst wenn er die Worte korrekt hätte artikulieren können, benutzte er unwillkürlich seine Muttersprache, und die sprach in ganz Amyrantha schon seit Langem kein Mensch mehr. Als ihm das klar wurde, fügte er auf Glaebisch hinzu: »Ich bin unsterblich.«
    »Was sagt er?«, fragte der Adjutant verwirrt.
    »Irgendwas von erblich?«, meinte der Henker achselzuckend.
    Cayal nahm einen weiteren tiefen Atemzug, der noch schmerzhafter war als der zuvor. Dann hob er den Kopf und schmetterte mit aller Kraft sein Gesicht auf den Boden, damit sein ausgerenkter Unterkiefer wieder in die Gelenkpfanne zurücksprang.
    »Ich bin unsterblich«, wiederholte er in seiner Sprache.
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