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Fallera

Fallera

Titel: Fallera
Autoren: Jörg Juretzka
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direkt auf die Gehirne ein und lösen dort sprachloses Staunen und bedingungslose Zustimmung aus. Unmöglich zu sagen, wie lange es dauert. Zeit spielt keine Rolle mehr.
    »... dass das DEUTSCHE VOLK nicht nur zurr Harrte, sondern auch zurr Verrrgebunk fähig ist . Ich danke Ihnen.«
    Wie, schon vorbei? Ein Moment perplexen Schweigens. Doch dann bricht der Jubel los . Frenetisch . »Jaa«, schreien wir, »jaajaaajaaa! Mehr! Mehr davon!!« Und die Arme recken sich wie von alleine, steigen auf gen Himmel, begleitet von »Heil! Heil!!!« und alle, alle, alle .
    Alle starrten mich an. Ratlos, kopfschüttelnd, voller Unverständnis. Langsam nahm ich den Arm runter. Hatte gar keinen Schnauzer, der Minister. Und auch keinen Seitenscheitel. Mehr so eine Art Pony. Und er stand auch nicht blaugesichtig und schwitzend da, sondern ruhig und entspannt, und der Blick, den er mir zuwarf, war mehr als nur genervt, er war vernichtend. Plötzlich war ich mir auch über die eine oder andere Passage seiner Rede nicht mehr so ganz sicher. >Härte und Vergebung    »Ey, Leute«, sagte ich in die entgeisterte Runde, »das war 'n Scherz, okay?«
    »Ha, ha«, machte einer der Presseleute, und von irgendwo hinter mir hörte ich die geraunte Frage: »Sag mal, gehört der wirklich zu uns? Ich meine bald, drüben, bei den anderen, den Spastikern, wäre er besser aufgehoben.«
    Rede vollendet und im Kasten, verzogen sich der Minister und sein Tross wieder in den Hubschrauber und flatterten davon.
    Und die Kamera entdeckte uns. Kam herüber, wie magisch angezogen von der Möglichkeit, mal ein paar echte Verbrechervisagen festzuhalten.
    Eine Maskenbildnerin fusselte noch ein wenig an dem einem großen Volvo entstiegenen Typen mit Föhnwelle und Hornbrille herum, ehe er sich ebenfalls in unsere Richtung bemühte, eingehüllt in einen Kamelhaarmantel und die empfindlichen Stimmbänder geschützt mit einem schottenkarierten Wollschal. Ein paar kurze Worte zu -nacheinander - Kameramann, Toningenieur, Regisseur und Regieassistent, denke ich, und das waren noch nicht mal alle, die da herumwerkelten, und er ließ sich ein Mikro geben, musterte uns taxierend, und irgendjemand zeigte auf mich.
    Hufschmidt traf fast der Schlag, als der Interviewer sich vor mir in Position stellte, der Scheinwerfer aufflammte, jemand nickte und er zu sprechen begann.
    »Soweit ich informiert bin, ist die Teilnahme an dieser ungewöhnlichen Resozialisierungsmaßnahme völlig freiwillig. Was waren Ihre persönlichen Motive, sich dafür zu melden?« Und er hielt mir seinen blauen Schaumstoffdildo unter die Nase.
    Im Hintergrund sah ich Kommissar Hufschmidt an vier Fingern gleichzeitig nägelbeißen.
    Die Versuchung, all seine Ängste zu bestätigen und vollkommen hirnrissigen, obszönen Quark zu reden, war praktisch unwiderstehlich. Doch einerseits war dies hier - ich nehme mal an, wohlweislich - nur eine Aufzeichnung. Und dann sah ich Dr. Zwölfenbeins interessierten Blick auf mir ruhen, den gezückten Kuli und das Klemmbrett in seinen Händen, und mir wurde bewusst, dass ich hier einer Rolle gerecht zu werden hatte.
    »Nuun«, begann ich, wie man das so macht, unsicher, ob ich jetzt in die Kamera linsen sollte oder nicht, entschied mich dann dagegen und wandte mich stattdessen mit feierlicher Miene an den Interviewer. »Ich denke, man kann pauschal sagen, dass wir alle hier von der, ich nenne es mal die >kriminelle Fraktion< (milde Heiterkeit ringsum), auf die eine oder andere Art Schuld auf uns geladen haben. (Gequältes Seufzen hinter mir. Zu Recht.) Ich selbst bin zwar kein Gewalttäter (leichtes Wenden des Kopfes in Richtung der anderen Knackis, ein unausgesprochenes >So wie manche< indizierend), und doch habe ich sicherlich unserer Gesellschaft einiges an Schaden zugefügt. Für mich persönlich bedeutet die Teilnahme hier weniger ein Punktesammeln für einen möglichen Neuanfang als vielmehr die Chance, einen Teil dieses Schadens wieder gutzumachen, indem ich eine Gruppe vom Schicksal benachteiligter Menschen bei der Bewältigung einer für sie außergewöhnlichen Herausforderung unterstütze.«
    Irgendjemand vor mir klatschte, und irgendjemand hinter mir knurrte ein leises, aber deutliches >Schleimscheißer<.
    Eigentlich hatte ich jetzt noch Mutter grüßen wollen, doch die Aufmerksamkeitsspanne der Öffentlichkeit ist kurz, und meine
    Zeit des Ruhmes war fürs Erste vorbei. Ich würde einen neuen Anlauf machen müssen, mit irgendeiner ungewöhnlichen Tat die Massen
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