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Fallera

Fallera

Titel: Fallera
Autoren: Jörg Juretzka
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zu begeistern, etwa indem ich mit einem Paar Bretter an den Füßen von einer hohen Schanze hüpfte, um auch einmal die Fernsehnachrichten mit so unvergesslichen Sätzen wie: >Des isch ä Traum, der wo wahr worre isch< bereichern zu dürfen.
    Der Nächste war ein übertrieben muskulöser Jüngling mit Anabolika-Akne im Genick und einem hastig hervorgepressten, semmelblonden Resozialisierungshaarwuchs auf einem bis vor kurzem garantiert noch ratzekahl geschorenen Schädel, der bisher, wenn angesprochen, auf praktisch alles nur mit einem vieldeutigen >Nu!< geantwortet hatte.
    »Darf ich Ihnen die gleiche Frage stellen?«, fragte der Interviewer und fing sein eigenes, an ihn gerichtetes »Nu!« mit dem Mikro ein. Und mehr erst mal nicht.
    Ostbacke, entschied ich. Maulfaul.
    »Was waren Ihre Motive für die Teilnahme?«, hakte der Moderator rasch nach, ebenso routiniert wie panisch auf jede Art von Schweigen reagierend.
    Und auch Ostbackes Geschichte meinte ich schon zu kennen: >Nu, wir worn in dor Disgo, meene Gumbels und ich, alle voll, nadürlich, und da gommt dieser Aasländor an und .< Und so weiter und so fort.
    »Nu!«, machte der Semmelblonde und windet sich ein bisschen. »Meen Anwold meende zu mir, das wär vleischt gargeene so a schlechte Idee«, gestand er schließlich, mit einer Offenheit, die einiges an Frohsinn hervorrief.
    Der Moderator dankte und arbeitete sich ein bisschen hinein in unseren Pulk, dicht gefolgt von dem Kameramann, bevor er sich vor dem deutlich Ältesten aus unserem Septett aufbaute. Einem, wenn ich schätzen müsste, Mittfünfziger mit kantigem Schädel und Kinnbart, der beständig an einer krumm gebogenen Pfeife nuckelte und den ich im ersten Moment irrtümlich für den begleitenden Psychologen gehalten hatte.
    »Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen?«, fragte der Moderator und erntete ein durch die Nase entlassenes und von dünnem Rauch begleitetes »N-nh« dafür.
    »Möchten Sie unserem Publikum dann vielleicht schildern, wie es kam, dass Sie überhaupt straffällig wurden?«
    Der Piepenkopp wog das sorgfältig ab, bevor er die Zähne auseinander machte. Erst mal, um die Pfeife daraus zu entfernen. Und dann, just bevor dem Moderator die Pause zu lang wurde, sagte er, langsam und mit leicht, fast metallisch schwingender Stimme: »Ich bin Gewohnheitsverbrecher.« Zack. Einfach so.
    »Aha. Und was genau haben Sie sich da zuschulden kommen lassen?«
    Ein Zug an der Pfeife. Ein leichtes Wiegen des Kopfes. Wieder spürte man die Zeit verrinnen. Dann: »Betrug, meistens. Unterschlagung. Diebstahl auch. Hehlerei.
    Dokumentenfälschung. Erschleichung von Fördergeldern. Betrügerischer Bankrott. Ausüben des Arztberufes ohne Approbation. Ausüben des Priesteramtes ohne Weihe. Geldfälschung. Amtsanmaßung. Aktive Bestechung und dann versuchte Erpressung eines Beamten. Betreiben einer Gastwirtschaft und eines Spielbankbetriebes ohne die nötigen Konzessionen. Steuerhinterziehung. Ah, und Fahren ohne Führerschein.« All das vorgetragen in ungerührter, fast schon schleppender Monotonie. »Dies hier«, fügte er hinzu, »ist meine letzte Chance vor der Sicherungsverwahrung.«
    Und ein leichter Schauder ging durch unsere Reihen. Sicherungsverwahrung heißt lebenslänglich, nur wörtlich genommen. Nicht fünfzehn bis fünfundzwanzig, je nach Führung. Sondern bis sie die Kiste über dir zunageln.
    Nun, der Moderator wünschte ihm Glück und zog weiter. Man merkte ihm an, dass er Spaß an der Sache bekam. Noch ein, zwei Kriminelle, sagte er sich, und dann belichten wir mal ein paar Meter mit den Behinderten.
    >Eine Familientragödie< gab der mit den runden Backen und der kleinen, aber dicken Nickelbrille, hinter der seine Augen winzig aussahen und wie in Aspik eingelegt, und der in jeder Hinsicht wirkte wie der pummelige Klassenbeste in sämtlichen Fächern außer Sport, als Grund für seinen Knastaufenthalt an. Nachfragen brachte ans Licht, dass er seinen Großvater mit der Axt erschlagen hatte. Im Streit um eine Briefmarkensammlung, immerhin. Trotzdem - man achte darauf - trotzdem könne er sich die Tat als solche immer noch nicht recht erklären, sagte er. Und, dass er aktiv an seiner Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft mitarbeiten wolle.
    Der Regisseur sah auf seine Uhr und entschied, dass es nun an den bedauernswerten Behinderten sei, der Kamera zum Fraß vorgeworfen zu werden. Doch - tataa! - nicht, bevor Dr. Weifenheim sich ins Rampenlicht gedrängt hatte.
    Bei aller in
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