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Fallera

Fallera

Titel: Fallera
Autoren: Jörg Juretzka
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seinen einleitenden Worten ausdrücklich hervorgekehrten Entschlossenheit, sie zur Selbständigkeit zu erziehen, konnte es sich der Doktor nicht verkneifen, die einzelnen Mitglieder der Gruppe vorzuführen wie Exemplare aus seinem persönlichen Zoo.
    Namen wurden keine genannt. Krankheitsbilder schienen zur
    Unterscheidung der einzelnen Persönlichkeiten völlig auszureichen. So dass man in rascher Folge vom Ausstellungsstück >Down-Syndrom< zur lebenden Darstellerin der Symptome eines Hirntraumas zu meinem speziellen Freund mit den tiefliegenden Augen im Kopf eines aus Stein gemeißelten Wasserspeiers kam. Hoch, sehr hoch angebracht, der Kopf, wie das bei Wasserspeiern so ist. Hier konnte der Interviewer nicht anders, als den mit viel Latein gewürzten Vortrag des Doktors über Drüsenfunktionen, Drüsenfehlfunktionen und ihre richtige beziehungsweise falsche Behandlung zu unterbrechen, um das Objekt dieses Diskurses einmal selber zu Wort kommen zu lassen. Ergab sicherlich beeindruckende Bilder, das - der Moderator musste den Kopf in den Nacken legen und das Mikro halten wie die Freiheitsstatue ihre Fackel - doch die Tonspur konnten sie komplett vergessen. Konnten sie direkt Musik drunterlegen oder noch was vom Monolog des Doktors.
    Denn auf die Frage, was er persönlich sich von diesem doch sicherlich recht mühsamen und unter Umständen auch nicht ganz ungefährlichen Unterfangen, ohne entsprechende Erfahrung mit einer Gruppe von Laien einen immerhin weit über dreitausend Meter hohen Berg besteigen zu wollen - ääh -, verspreche, blinzelte der Interviewte verlegen in das Scheinwerferlicht, entblößte das beeindruckendste Gebiss, das ich jemals außerhalb eines Huftiermauls gesehen habe, und begann eine Kette von abgehackten A's hervorzustoßen, die schier nicht mehr enden wollte, selbst nachdem Kamera und Mikrofon und der ganze Pulk von Schaulustigen schon längst zwei oder drei Mitreisende weitergewandert waren.
    Mehr aus Widerwillen, mir noch mehr von des Doktors selbstgefälligem Fachchinesisch anhören zu müssen, denn aus, sagen wir, Höflichkeit, blieb ich stehen, bis der Riese fertig war mit seinen A's.
    »Und damit kommst du jetzt ins Fernsehen«, stellte ich fest. Das schien ihm zu gefallen, denn er nickte eine ganze Weile versonnen vor sich hin. »Und eh du dich versiehst, macht Stefan Raab anschließend 'ne Platte mit dir.« Wir sahen uns kurz an, und irgendwo aus den tiefsten Tiefen seines Bauches heraus kam ein im untersten Frequenzbereich angesiedeltes »Hua!«
    Mit der Abreise des Aufnahmeteams endete auch die Anwesenheitspflicht der Ordnungsmacht. Hufschmidt stieg in seinen Opel, die Uniformierten kletterten in den Münchner Bulli und den Berliner Setra, starteten ihre Motoren, wendeten, nahmen, weil's keinen anderen Weg gab, die Straße, die sie gekommen waren, und ließen uns allein mit dem Toni.
    »Ich bin der Toni«, hatte er sich vorgestellt, kaum dass er vom Beifahrersitz eines mit >ALPHA Expeditionsausrüstungen beschrifteten Unimog gesprungen war, »und für die nächsten Tage euer Bergführer.«
    Behinderte werden geduzt, ob's ihnen passt oder nicht, und Strafgefangene haben eh nichts zu melden. Na, vielleicht war ich auch nur empfindlich und das Du war einfach Teil von des Tonis herzhafter Art. Braun das Auge, schwarz das Haar, rot die Wangen und stramm die Waden. Weiß das Hemd, krachledern die Hose, grobstollig das tadellos gepflegte, ordentlich verzurrte Schuhwerk. Blau und reißfest und an Brust und Rücken und auf beiden Schultern mit dem Aufnäher des Herstellers versehen seine Daunenjacke. Alles am Toni wirkte ebenso robust und langlebig wie er selbst.
    Egal, ob er mit blendend weißen Zähnen in die Runde lächelte, reihum kraftvoll Hände schüttelte, gestenreich auf das wundervolle Wetter und das herrliche Panorama verwies oder die Heckklappe des Unimog entriegelte und mit nicht viel mehr als einem Augenzwinkern eine kleine Truppe um sich scharte, die beim Entladen der Vorräte und Ausrüstungen helfen sollte, mit jeder Bewegung strahlte er diese alpine Kerngesundheit aus, die ein Leben lang ohne Arztbesuch auskommt und selbst in einem Alter noch lachend die höchsten Gipfel erklimmt, in dem wir Städter mit unserer schlechten Luft und unseren fragwürdigen Angewohnheiten schon lange die Primeln von unten betrachten.
    Seltsam, wenn man nur eine Sekunde drüber nachdenkt, dass es ausgerechnet der unverwüstliche Toni sein sollte, der auf unserem kleinen Ausflug als Erster zu
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