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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten
Autoren: Gemma O'Connor
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Fensterplatz in der dritten Reihe von hinten. Sie war so klein, daß der große Sitz vor ihr sie verbarg, und starrte aus dem Fenster. Mit einem Spitzentaschentuch tupfte sie sich die Augen. Er hüstelte, und da drehte sie sich um und schaute zu ihm auf. Er fragte sich, wie sie es fertigbrachte, so elegant zu weinen, ohne zu schniefen und ohne die üblichen Flecken im Gesicht. Verlegen scharrte er mit den Füßen.
    »Wir sind in Oxford. Endstation«, erklärte er barsch. »Außer Sie wollen nach Heathrow zurück. In einer halben Stunde geht’s wieder los. Sie können hier sitzen bleiben, liegt ganz bei Ihnen.«
    »Ach du meine Güte, nein, vielen Dank«, wehrte sie ab und wischte sich die Augen. »Kümmern Sie sich nicht um mich. Es ist nichts. Nur daß ich eine sentimentale alte Närrin bin, die über die Vergangenheit und all die Zeit nachgrübelt, die sie verschwendet hat. In einer Minute ist alles wieder in Ordnung. Genau hier wollte ich her. Zurück nehme ich einen Nachmittagsbus.« Sie schnaubte leise, sich selber mißbilligend, und überprüfte ihr Make-up. Dann straffte sie die Schultern und stand auf. Er war verblüfft, wie unvermittelt sie ihre Traurigkeit abgeschüttelt hatte. Jetzt sah sie eher wie ein wunderhübsches kleines Rotkehlchen aus, das sich gerade prächtig herausgeputzt hat. Ihre tadellos geschnittene Kleidung sollte ihr schmeicheln – und das tat sie auch.
    »Schön hier, finden Sie nicht?«
    »Wo? Am Busbahnhof?« fragte er ungläubig.
    »Ach, kommen Sie.« Schelmisch, fast kokett, wedelte sie mit der Hand. »Nein, die Stadt meine ich. War das die Hauptstraße, durch die wir gekommen sind?«
    »Ah, ja, die High«, sagte er, als koste ihn jedes Wort eine Anstrengung.
    »Ist das die Haupteinkaufsstraße?« hakte sie nach.
    »Gleich daneben ist die Markthalle, wenn Sie einkaufen wollen. Da gibt es alles mögliche«, erklärte er, während sie behutsam einen lachhaft kleinen schwarzen Hut auf ihren tadellos frisierten schneeweißen Pagenkopf setzte. »Auch Hüte«, fügte er hinzu, als sie vor ihm durch den Mittelgang schlüpfte.
    Er schnappte sich Geldkassette und Jacke und stieg hinter ihr aus dem Bus. Sie hatte sich jetzt völlig erholt, wirkte richtig munter und schaffte es, den Eindruck zu vermitteln, als sei sie drauf und dran, sich auf ein großes Abenteuer einzulassen.
    »Übrigens, können Sie mir sagen, wo die Universität ist?« Sie blinzelte zu ihm hinauf. Ihre Stimme war hell und fröhlich wie ihr kirschrotes Kostüm.
    »Die ist überall, auf die ganze Stadt verteilt«, erwiderte er ungeduldig. »Hier gibt’s nichts, was man als Universität bezeichnen könnte. Jedenfalls nicht ein einzelnes Gebäude. Colleges stehen überall da rum.« Er wollte gerade gehen, als sie sich räusperte. Er seufzte tief, während er auf sie hinunterschaute.
    »Welches suchen Sie denn?«
    Sie stand auf einem Bein, während sie ihre große marineblaue Handtasche auf dem anderen Knie balancierte und in ihr wühlte, bis sie schließlich triumphierend einen Zettel hervorkramte, auf den sie einen kurzsichtigen Blick warf. Der Fahrer las ihn über ihre Schulter hinweg.
    »Das oder das da?« fragte er und deutete auf die hingekritzelten Namen. Fragend sah sie zu ihm auf.
    »Ach, das sind zwei verschiedene?« Sie biß sich auf die Lippen. »Ich dachte, es sei nur eines. Jetzt bin ich mir nicht sicher, welches.«
    »Keine Bange. Sie sind alle ziemlich auf einem Haufen. Also, mal sehen.« Er wippte auf den Fersen vor und zurück. »Am sichersten ist es wohl«, riet er ihr in unverkennbar oxfordisch schnarrendem Dialekt und musterte dabei ihre dünnen hohen Absätze, »am sichersten wird es wohl sein, wenn Sie ein Taxi nehmen. Es ist zwar nur ein Katzensprung, aber es scheint Regen aufzukommen, und außerdem ist es einigermaßen schwer, genau zu erklären, wie man dorthin kommt. In der Nähe des Merton College, glaube ich.« Er kratzte sich am Kopf und lächelte kläglich. »Das beste ist wohl wirklich, Sie nehmen sich ein Taxi. Das setzt Sie direkt dort ab. Einverstanden?«
    »Ein Taxi, das ist eine großartige Idee.« Wenn sie lächelte, kräuselten sich um die strahlenden blauen Augen hübsche Fältchen. »Haben Sie vielen Dank. Ich werd’s schon finden, und nochmals danke, daß Sie mir geholfen haben.« Sie stopfte den Zettel wieder in ihre Tasche. »Aber könnten Sie mir bitte noch sagen, wo ich ein Taxi finde?«
    Wenn die Gepäck hätte, würde sie mich glatt dazu bringen, es für sie durch die ganze
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