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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka
Autoren: Martin Clauß
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Persönlichkeit. Etwas Prägendes.
    Sie konnte sich nicht daran erinnern, dieses Buch jemals gelesen zu haben, und gleichzeitig wusste sie, dass sie es gelesen haben musste.
    „Es handelt von Ikezukuri“, sagte Kazuo. „Von der Kunst, einen lebenden Fisch zu zerschneiden und wieder zusammenzusetzen. Es enthält auch Bilder.“
    Madoka blätterte und sah Schwarzweißillustrationen. Jedes einzelne Bild flammte tief im Dunkeln ihrer Erinnerung auf wie ein gleißender Blitz. Jeder Blitz war stark genug, um ihren Verstand in Flammen aufgehen zu lassen.
    „Was …“ Woher kannte sie dieses Buch? Es war, als enthielte es mehr Informationen über sie und ihr Leben als das ausführliche Tagebuch, das sie auf Falkengrund täglich geführt hatte.
    „Ich möchte dich nicht auf die Folter spannen. Uns bleibt nicht viel Zeit. Je länger ich warte, desto größer die Gefahr, dass jemand dieses Zimmer betritt. Die Nachtschwester sieht bestimmt zwei oder drei Mal pro Nacht nach dir.“
    Madoka hörte seine Worte kaum. Sie starrte auf die Zeilen in dem Buch und stellte fest, dass jede einzelne davon in ihrem Inneren widerhallte.
    „Ich war damals neun, du gerade zwei“, sagte Kazuo. „Ich hatte das Buch von einem Freund bekommen. Du weißt, dass ich schon als Kind gerne fischen ging. Und wie jeder Junge interessierte ich mich für gruselige, makabre Dinge. Dieses Buch war ziemlich makaber für einen Neunjährigen. Ich hätte es dir nicht zeigen sollen. Du warst noch so klein.“
    Madoka schloss das Taschenbuch. „Ich kann es nicht gelesen haben, als ich zwei war.“
    „Doch, das hast du“, erwiderte Kazuo. „Ich hatte es dir überlassen. Das Buch und ein paar Wörterbücher. Innerhalb von ein paar Tagen hattest du es durch. Mutter sah wohl nicht so genau hin und dachte, du würdest nur damit spielen. Du hattest alle Schriftzeichen, die darin vorkamen, nachgeschlagen! Bei deinem fotografischen Gedächtnis musstest du jedes nur einmal nachsehen. Ich weiß nicht, wie viel du davon verstanden hast, aber du konntest mir ganze Passagen daraus auswendig vorsagen. Selbst ich mit meinen neun Jahren konnte das Buch noch nicht richtig lesen – viele Zeichen, die darin vorkamen, habe ich erst in den folgenden Jahren gelernt. Aber du warst damals mehr als ein Wunderkind. Du warst ein … ein Monstrum. Du konntest alles. Du warst intelligenter als die meisten Erwachsenen.“
    Madoka legte das Buch auf die Decke zurück.
    „Während du es gelesen hast, musst du Albträume bekommen haben. Kein Wunder, bei diesem Inhalt. Unsere Eltern kamen am Anfang nicht auf den Grund. Du wurdest plötzlich krank, bekamst hohes Fieber, und dann lieferte man dich in ein Krankenhaus ein und diagnostizierte eine Hirnhautentzündung. Als du zurückkamst, warst du mehr ein Mensch als vorher, immer noch hochintelligent, aber kein Monster mehr. Mir gefielst du besser als vorher, aber unsere Eltern sagten, du hättest daran sterben können. Seit dem Tag, an dem sie herausfanden, dass ich dir das Buch gegeben hatte, war mein Leben nie mehr wie zuvor. Ich war nicht einfach nur der dumme ältere Bruder – ich war der Junge, der beinahe seine Schwester getötet hätte, aus Neid, wie man annahm. Und jeden Tag wurde mir vorgehalten, was du hättest leisten können, wenn die Hirnhautentzündung nicht gewesen wäre.“ Er lachte humorlos. „Wahrscheinlich wärst du jetzt die jüngste Nobelpreisträgerin der Welt oder die beste Pianistin in der Geschichte der Menschheit oder beides zusammen. Dass du es nicht geworden bist, ist meine Schuld.“
    Kazuo ließ Madokas Haare los und griff jetzt nach ihrer Hand. „Verstehst du?“, fragte er mit heiserer Stimme. „Vielleicht bin ich schuld daran, dass es heute auf der Erde keinen Frieden gibt. Vielleicht hättest du mit deiner Intelligenz eines Tages den Hunger von der Erde verbannt. Vielleicht …“
    „Du bist immer noch ein Dummkopf“, unterbrach ihn Madoka. Sie zitterte am ganzen Leib nach all den Eröffnungen. „Was denkst du, was ein intelligenter Mensch bewirken kann? Wer sagt dir, dass ich heute überhaupt noch bei klarem Verstand wäre? Ich weiß nicht, ob ich so scharf auf das Schicksal bin, das mir entgangen ist.“
    „Das sagst du, damit ich dich am Leben lasse.“
    „Es ist die Wahrheit. Ich sehe keinen Grund, warum du mich töten solltest.“
    „Madoka, ich bin zerstört. Was ich auch getan habe, es war immer das Falsche.“
    „Glaubst du wirklich, ich bin krank geworden, nur weil ich ein gruseliges
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