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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka
Autoren: Martin Clauß
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Sinn in ihrem Leben als sich selbst kostspielige Geschenke zu machen oder von ihren Eltern solche zu erhalten. Der Suizid war für sie kein Ausweg aus einer unerträglich gewordenen Lage, sondern ein Mittel, um ihre Umwelt unter Druck zu setzen und sich stets aufs Neue ins Zentrum ihrer kleinen neurotischen Welt zu rücken. Das schlimme war, dass sie dieses Druckmittel nicht kühl und berechnend, sondern völlig unbewusst einsetzten. Sie gingen rigoros zu Werke, und die Gefahr, dass sie sich tatsächlich töteten, bestand immer. Je öfter sie ihre Suizidversuche wiederholten, desto rücksichtloser wurden sie gegen sich, und es war abzusehen, dass sie früher oder später Erfolg haben mussten.
    Dr. Andôs These war einfach: Der Mensch besaß einen Selbsterhaltungstrieb. Die Gefahr des Todes war eine Gefahr von außen, gegen die der Mensch sich naturgemäß zur Wehr setzte. Ein wichtiger Sinn des Lebens bestand darin, den eigenen Tod abzuwenden. Es war völlig natürlich, dass Lebewesen sich gegenseitig zu töten und sich selbst zu schützen versuchten. Dr. Andôs Patienten aber hatten den Spieß umgedreht. Sie hatten den eigenen Tod als Waffe entdeckt.
    Solange der eigene Tod ihre Waffe war, mussten alle Therapien erfolglos bleiben. Verzweifelten Menschen konnte man Auswege aus ihrer Depression aufzeigen. Menschen, die trauerten, konnte man Hilfestellungen geben, ihren Schmerz zu verarbeiten. Man konnte das Selbstvertrauen von schüchternen Menschen stärken oder ihnen neue Kontaktmöglichkeiten aufzeigen. Sobald aber jemand den eigenen Tod nicht mehr als Bedrohung oder Ausweg, sondern als Machtmittel empfand, war ihm mit den herkömmlichen Therapien kaum beizukommen.
    Dr. Andô setzte unterschiedliche Methoden ein und arbeitete immer wieder neue aus. All seinen Behandlungen war gemein, dass er die Patienten zunächst aus der Gemeinschaft herauslöste. Anstatt Gruppentherapie zu betreiben, zwang er sie zu sinnlosen Betätigungen und zur Langeweile. So gelang es ihnen nicht, Kontakte aufzubauen. Kontakte gaben diesen Menschen keinen Halt, sondern lediglich neue Ansatzpunkte, um ihre Waffen einzusetzen. Wenn unter den Patienten eine Gesellschaft entstand, erhöhte das ihre Suizidbereitschaft. Sobald die Patienten in einer Art Vakuum zu leben begannen, in dem sie mit ihren Launen niemanden unter Druck setzen konnten, begann der zweite und entscheidende Teil. Sie mussten wieder lernen, dass ihr Tod eine Waffe war, die gegen sie gerichtet war, nicht eine, die sie in der Hand hielten. Sie mussten beginnen, ihr nacktes Leben wieder mehr zu lieben als ihre Gier und ihre Schrullen.
    In seinem neusten Experiment hatte Dr. Andô zu einem riskanten Mittel gegriffen. Er hatte eine Situation fingiert, in der die Patienten glauben sollten, einem irren Mörder hilflos ausgeliefert zu sein. Der Psychiater ging sogar so weit, ihnen Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, mit denen sie sich selbst umbringen konnten: die Medikamente und Kanülen im Dienstzimmer, sowie die Angelköder. Obwohl die Station durch die nur scheinbar abgeschalteten Kameras intensiv von drei Mitarbeitern beobachtet wurde, war das Risiko hoch. Doch Dr. Andô war bereit, dieses Risiko einzugehen. Er glaubte an den Erfolg der neuen Methode und hoffte darauf, dass niemand an die Öffentlichkeit gehen würde, falls es zu einem Zwischenfall kommen sollte. Ohne Risiko ließen sich keine großen wissenschaftlichen Fortschritte erzielen. Wichtig war, dass den Patienten ihr eigener Suizid erschien wie etwas, das gegen sie eingesetzt wurde. Im Angesicht des Wahnsinnigen, der sie in den Selbstmord treiben wollte, sollte ihr Selbsterhaltungstrieb erwachen, und sie sollten ein für alle Mal von ihrer widernatürlichen Einstellung geheilt werden.
    Im Falle des Patienten, der sich Sam nannte, hatte es funktioniert. Er hatte zaghaft begonnen, den Kampf gegen den vermeintlichen Killer aufzunehmen. Bei den anderen – davon war Dr. Andô überzeugt – hätten sich in den folgenden Stunden ähnliche Verhaltensweisen gezeigt. Die Anzeichen dafür waren da. Auf den Videoaufzeichnungen war zu sehen, dass selbst Nami und Kaori, zwei harte Fälle, Symptome der Veränderung zeigten. Auch in ihnen war die Angst um das eigene Leben erwacht und die Bereitschaft, Verantwortung dafür zu übernehmen und dafür zu kämpfen – etwas, wozu sie bislang niemals fähig gewesen waren.
    Madoka hatte alles zunichte gemacht.
    Sie hatte die Therapie in ihrer wichtigsten Phase unterbrochen und hatte dazu
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