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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka
Autoren: Martin Clauß
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Buch gelesen habe?“ Sie wog das Taschenbuch in ihrer Hand.
    „Nein. Zuerst dachte ich das. Für das Gemüt einer Zweijährigen war es schlimm. Aber ich weiß, dass es einen anderen Grund dafür gegeben haben muss.“
    „Welchen?“
    „Das Wesen in deinem Inneren.“
    Madoka zuckte zusammen. Er wusste also davon.
    „Du hattest eine Art Schutzengel“, sagte Kazuo. „Zumindest bis zu deinem Suizidversuch. Ich habe ihn ein paar Mal gespürt. Weißt du noch, einmal waren wir zusammen am Strand. Ich wollte mit einer Harpune einen Fisch fangen – in solchen Dingen war ich gut. Ich wollte einfach nur ein bisschen vor dir angeben, dir und mir beweisen, dass ich Dinge kann, die du nicht kannst. Aber als ich zustechen wollte, kam etwas auf mich zu und lenkte mich ab. Die Spitze bohrte sich in meinen Fuß; die Narbe sehe ich jeden Tag. Und damals, in der Klinik, fuhr das Wesen auf mich zu und warf mich zu Boden. Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich weiß nicht, woher es kommt, aber es muss eine Art Fischgeist sein. Damals am Strand wollte er nicht zulassen, dass ich einen Fisch tötete. Und später, in der Klinik, beschützte er dich vor mir. Vielleicht erinnerte er sich noch an mich. Vielleicht sah er auch etwas Böses in mir, wie unsere Eltern, die Gerichte und alle. Ich kann mir vorstellen, wie er auf das Buch reagiert haben muss. Das zweijährige Mädchen, das er beschützt, entziffert ein Buch über das Zerlegen und Servieren eines lebenden Fisches. Ich wette, die Albträume, die du danach hattest, waren nur zur Hälfte deine eigenen.“
    Madoka konnte nichts erwidern. Er musste recht haben. Ihre Albträume drehten sich um das Ikezukuri. Nicht nur sie selbst hatte unter der Last dieser Erinnerung gelitten, sondern auch der Beschützer in ihrem Inneren. Kein Wunder, dass er Kazuo hart angegangen war, obwohl er damals in der psychiatrischen Klinik keine echte Gefahr für Madoka darstellte. Er, Kazuo, hatte ihr das Buch gegeben. Er, Kazuo, war Hobbyfischer. Er, Kazuo, spielte den als Fischer verkleideten Mörder, legte Köder aus und hielt Fischermesser in der Hand. Bei dem Angriff auf ihn hatte es sich um einen persönlichen Angriff des Wesens gehandelt.
    „Alle sind meine Feinde, alle“, stellte Kazuo fest. „Und es geht alles von dir aus. Der Tag, an dem du geboren wurdest, war mein Unglückstag.“
    Er griff unter seine Jacke, kramte ungeschickt herum.
    „O-nî-san“, sagte Madoka. „Wir können uns immer noch versöhnen.“ Ihre Stimme klang nicht flehend, sondern gefasst, ernst. Sie hatte Angst davor, in die Rolle des wimmernden, bebenden Opfers zu rutschen. Sie musste Ruhe bewahren. Ihr blieb weder die Flucht noch der Kampf. Ihre Wunden waren noch lange nicht verheilt, sie war unbewaffnet, und ihren Schutzgeist hatte sie vor acht Jahren selbst hingerichtet. Ihre letzte Chance war, ihrem Bruder gut zuzureden.
    Wenn das nicht klappte, dann hatte sie nur noch …
    … eine aller letzte Chance.
    Und die setzte sie in dem Moment ein, als sie das Messer blitzen sah!
    Sie schlug die Decke zurück, legte ihre linke Hand auf ihren Bauch und öffnete die Finger. Auf ihrer Handfläche lag ein Bernstein, im Inneren drei eingeschlossene Insekten und … etwas Unsichtbares.
    „Hilf mir“, flüsterte sie, schloss die Augen und presste die Zähne aufeinander.
    Sie wartete auf den Einstich des langen Fischermessers. Stellte sich sogar bildlich vor, wie es in ihre Brust oder ihren Hals drang und den malträtierten Körper vollends zerfetzte.
    Schon einmal hatte sie versucht, diesen Schutzgeist, der ihr nicht gehörte, um Hilfe anzurufen. Damals, in Margaretes Zimmer auf Schloss Falkengrund, war ihr Versuch fehlgeschlagen, und sie hätte beinahe mit ihrem Leben dafür bezahlt. Jede Wunde, die sie davongetragen hatte, erinnerte sie täglich an ihre Naivität, ihren einfältigen Glauben, der fremde Geist würde sie schützen, wenn sie ihn nur laut genug darum bat.
    Trotzdem unternahm sie den Versuch ein zweites Mal.
    Sie glaubte jetzt zu wissen, warum es beim ersten Mal nicht hatte funktionieren können, und sie hoffte, dass ihre Vermutung richtig war. Ihre Gegner, die Hunde, waren vom Schutzgeist selbst gerufen und damit beauftragt worden, den Bernstein mit dem darin eingeschlossenen Geist von Falkengrund wegzubringen. Um sie zu retten, hätte der Geist sich also selbst bekämpfen und entgegen seiner eigenen Absicht handeln müssen.
    Diesmal lag die Sache anders. Diesmal kam die Gefahr von außen.
    Kazuo Andô starrte
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