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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 17 Madoka
Autoren: Martin Clauß
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Lampe brannte über ihrem Kopf, und einige grüne Ziffern liefen über das einzige Gerät, an das sie noch angeschlossen war. Das Geräusch war nur ein einziges Mal erklungen, und wenn sie in die Stille hineinlauschte, musste sie sich fragen, ob sie es nur geträumt hatte.
    Es hatte geklungen, als ob jemand das Kabel für den Schwesternruf …
    „Ich habe die Glocke herausgezogen“, sagte eine Stimme in japanischer Sprache. „Es hat keinen Sinn, heimlich danach zu tasten. Du könntest höchstens schreien, aber wenn du das tust, stirbst du.“
    Madoka spürte, wie sich ihr Herzschlag etwas beschleunigte und ihr Mund austrocknete, aber sie geriet nicht in Panik. Ihre Hände umfassten die Ränder ihrer Bettdecke, und es gelang ihr, ruhig zu bleiben. Sie hatte damit gerechnet, Besuch von diesem Mann zu bekommen, und es verwunderte sie nicht, dass es mitten in der Nacht geschah. Er musste zu einer Zeit kommen, da er nicht gestört werden würde.
    „Es ist lange her, dass wir uns gesehen haben, O-nî-san“, sagte sie. Japaner sprachen ältere Geschwister nicht mit dem Namen, sondern mit Bruder oder Schwester an.
    „Acht Jahre“, erwiderte Kazuo Andô.
    „Wie hast du mich gefunden?“ Madoka streckte sich ein wenig, hob den Oberkörper an, um ihn zu sehen. Er stand direkt neben ihrem Bett, eine große, hagere Gestalt in dunkler Kleidung. Sein Gesicht wurde von einem Hut überschattet, aber Madoka glaubte zu erkennen, dass seine Züge ausdruckslos und kalt waren.
    „Ich habe meine Informationsquellen“, lautete die unbefriedigende Antwort. „Wir wissen eine Menge über dieses … Falkengrund.“
    „Woher?“
    Er zögerte. „Sagen wir, es gibt dort eine undichte Stelle. Einen Informanten.“
    Madoka begriff nichts. Was wollte er damit sagen? Sie konnte sich zwar vorstellen, dass ihre Familie versucht hatte, sie zu finden, nachdem sie aus Japan verschwunden war, aber Kazuos Wortwahl ließ das ganze klingen wie in einem Spionagefilm. Undichte Stelle. Informant.
    Der Mann näherte sich ihr noch weiter, streckte seine Hand aus und berührte ihr Haar. „Diese Schule ist ein interessanter Ort. Sagt zumindest Vater.“
    Madoka schluckte. „Wie geht es Vater?“
    „Besser. Er arbeitet wieder.“ Kazuo nahm eine Strähne ihres üppigen Haares zwischen zwei Finger und spielte damit.
    Sie war überrascht von der Neuigkeit, aber gleichzeitig blieb sie vorsichtig. Noch wusste sie nicht, was ihr Bruder von ihr wollte. Sie fühlte lediglich, dass es nichts Gutes war. Der Köder, den er unter ihrem Kopfkissen versteckt hatte, hing noch immer ganz oben in der Gardine. Niemand hatte ihn bisher entdeckt, und sie selbst konnte nicht aufstehen, um ihn abzunehmen. „Man hat Vater die Lizenz zurückgegeben?“
    „Nein. Er wird nie mehr praktizieren können. Er arbeitet jetzt im Verborgenen. Geheime Projekte. Und ich bin auch daran beteiligt.“ Stolz sprach aus diesen Worten.
    „Das ist … schön“, erwiderte Madoka. Wovon redete er?
    „Madoka, ich bin gekommen, um dich zu töten.“
    Ihr Körper versteifte sich. Sie schaffte es nicht, ihn anzusehen. Dabei sagte sie sich, dass man Menschen, die einem drohten, ansehen musste, um sie davon abzubringen, etwas Schreckliches zu tun. „Warum?“, wisperte sie, während sie an die Decke starrte.
    Seine Antwort kam schnell. “Rache. Schlichte, einfache und gerechte Rache. Du hast mich beinahe zugrunde gerichtet.“
    Darauf sagte sie nichts. Natürlich hätte sie ihm widersprechen können, nein, müssen . Niemals hatte sie etwas gegen ihn gehabt. Nie hatte sie bewusst versucht, ihm zu schaden. Immer hatte sie in ihrem sieben Jahre älteren, einzigen Bruder einen Freund gesehen. Und trotzdem … auf irgendeine schwer zu verstehende Weise hatte sie ihm stets Unglück gebracht.
    „Es ist schwierig, der dumme Bruder einer hochbegabten Schwester zu sein“, sagte Kazuo. „Du warst schon intelligenter als ich, da warst du noch keine zwei Jahre alt. Du wirst nie nachempfinden können, welche Erwartungen mein Leben lang an mich gestellt wurden. Schließlich haben wir denselben Vater und dieselbe Mutter. Aber damit hätte ich fertig werden können. Das war nicht das Schlimmste …“
    „Was in Vaters Klinik geschehen ist, tut mir leid“, meinte Madoka nach einer langen Pause, während der es so klang, als würde Kazuo zu schluchzen beginnen. Wahrscheinlich war es nur ein nervöses Schlucken. „Ich hätte nicht ungefragt in die Station eindringen und die Behandlung unterbrechen dürfen.
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