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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 15 Der Zauberer und das Mädchen

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 15 Der Zauberer und das Mädchen

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 15 Der Zauberer und das Mädchen
Autoren: Martin Clauß
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– das waren viele kleine Stufen hintereinander, nicht mehr und nicht weniger. Daran war nicht im Geringsten etwas Beunruhigendes.
    Kurz bevor Samuel die Haustür aufdrücken konnte, wurde sie von außen geöffnet. Ein großgewachsener schlanker Mann um die Vierzig betrat das Haus. Er trug einen schwarzen Backenbart, hatte scharf geschnittene Züge und eine schmale Nase. Sein hochaufgeschossener Körper steckte in einem sauberen hellen Anzug, der die billige Qualität allerdings nicht verbergen konnte. Außerdem war er ihm zu kurz.
    Die beiden Männer grüßten sich höflich, und als Samuel die Haustür hinter sich geschlossen hatte, hörte er das Gespräch der beiden Jungen, die noch immer an derselben Stelle spielten.
    „Wenn ich’s dir doch sage! Das ist ein echter Zauberer!“
    „Es gibt keine Zauberer.“
    „Und wie kann er dann das hier aus deinem Ohr ziehen, wenn er kein Zauberer ist, hm?“
    Der kleine Hans hielt eine weiße Nelke hoch und fixierte sie voller Faszination, während der andere Junge verstört mit dem Finger in seinem Ohr herum pulte.
    Samuel Rosenberg machte sich auf einen sehr nachdenklichen Heimweg.

3
    Juni 1897
    Der Mann verbeugte sich mit einer ausladenden Bewegung zum spärlichen Applaus. Der Beifall endete schneller als seine Verneigung, und er beeilte sich, hinter den Vorhang zu schlüpfen und den schmalen schrankartigen Kasten hervor zu zerren. Da die Bretter der Bühne sich nicht glatt aneinander fügten, sondern viele kleine Stufen und Spalten bildeten, gestaltete sich das ausgesprochen diffizil. Unter den Blicken des Publikums drohte der hochgelegene Schwerpunkt den mannshohen Spind mehrmals umzuwerfen. Jedes Mal konnte sich einer der männlichen Zuschauer sein Lachen nicht verkneifen. Und jedes Mal fielen ein paar beschwipste Damen klirrend in das Lachen ein.
    Der Magier schwitzte. Die weiße Nelke, die er im Knopfloch trug, strahlte in der Dunkelheit. Ebenso hell leuchteten die Satinhandschuhe. Abgesehen davon verschmolz der Mann im schwarzen Anzug nahezu vollkommen mit dem abgedunkelten Bühnenraum, doch allmählich begannen die Schweißperlen in seinem Gesicht verräterisch zu glitzern. Von der Decke hing ein bogenförmiges Schild, das in goldfarbenen Buchstaben die Aufschrift „Der Große Konradi“ trug.
    „Als nächstes, verehrte Herrschaften“, er hustete und hielt den Kasten eben noch fest, ehe er über den Bühnenrand kippen konnte, „möchte ich mir erlauben, einen Freiwilligen aus diesem Raum mit meinen Säbeln zu durchbohren.“
    Belustigtes Murmeln kam von den locker besetzten Zuschauerplätzen. „Einen Augenblick noch, geschätzte Anwesende. Warten Sie, ehe Sie spontan die Hand heben und damit Ihr Schicksal allzu vorschnell besiegeln. Möglicherweise denken Sie ja, es handle sich um einen Trick. Überzeugen Sie sich selbst, ob hier etwas präpariert ist.“
    Er öffnete die Tür des Schranks, die ein wenig klemmte. Dann nahm er eine lange rote Kerze von einem kleinen Tischchen, hielt sie ins Innere des Spinds und bewegte sie dort mehrmals auf und ab. Die Zuschauer streckten die Hälse. Der Kasten schien leer zu sein.
    „Nun, geehrte Gäste, die Säbel.“ Er zog ein hellrotes Tuch aus seiner Jackettasche und warf es in die Höhe. Als es sich entfaltete und langsam wie ein Fallschirm herabsank, ließ er den ersten der drei Säbel durch die Luft sirren. Das Tuch wurde in zwei Teile geschnitten, und das letzte Lachen im Saal verstummte. Das größere Stück fing der Zauberer auf und schleuderte es erneut in die Luft, während er flink nach dem zweiten Säbel griff. Das Schauspiel wiederholte sich, und danach trat der dritte Säbel in Aktion. Als vier rote Stofffetzen am Bühnenrand lagen, war der kleine Saal in tiefe Stille getaucht.
    „Bevor ich beginne, möchte ich Sie, geschätzte Zuschauer, auf ein wichtiges rechtliches Detail aufmerksam machen.“ Er atmete tief durch, als er spürte, dass er kurzatmig wurde. Die langen Sätze – sie wirkten, aber sie waren so schwer über die Lippen zu bringen, wenn man hier oben stand. „Sollte ich zu Ihnen in den Zuschauerraum treten und Sie mit einer dieser hochgefährlichen Waffen auch nur streifen, würde ich mich der Fahrlässigkeit schuldig machen. Meine Karriere wäre auf der Stelle beendet, mir würde der Prozess gemacht, und überdies hätten Sie das gute Recht, mich auf Entschädigung und Schmerzensgeld zu verklagen. Aber ...“ Wieder holte er tief Luft. „In dem Moment, in dem Sie, meiner Demonstration
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