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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 15 Der Zauberer und das Mädchen

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 15 Der Zauberer und das Mädchen

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 15 Der Zauberer und das Mädchen
Autoren: Martin Clauß
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der Kutsche wie eine Puppe in einem Puppenhaus. Das Mädchen und ihr Verlobter setzten sich in Fahrtrichtung, ihnen gegenüber der blasse Samuel Rosenberg, der bisweilen aussah, als müsse er sich übergeben. Der Zustand der Straßen änderte sich alle Naselang, und nach Stunden der Fahrt sehnten sie sich in das Zugabteil zurück, das sie vor kurzem noch verflucht hatten. Ferdinand Frödd spielte mit der Füllung der Polsterung, die überall aus den Sitzen quoll, und Samuel beobachtete ihn dabei, anstatt aus dem Fenster zu sehen und seine Übelkeit zu kurieren.
    Konrad Winkheim wiederholte die Pläne, die er mit der Immobilie hatte, wie eine Zauberformel. Von dem geheimnisvollen Magier, den er an guten Tagen auf der Bühne verkörperte, war nichts mehr übrig. Er war nichts als ein hoch aufgeschossener, nervöser Mann, der nicht aufhören konnte zu reden. Seine Hände zitterten, und es war nur schwer vorstellbar, wie er mit diesen Fingern einen seiner feinen Kartentricks ausführen wollte.
    In einigen Bars und Varietés rund um Kassel kannte man ihn als den Großen Konradi. Über diesen Kreis hinaus war er vollkommen unbekannt. In jungen Jahren hatte er gewisse Erfolge erzielt, die er später nicht hatte ausbauen können. Sein Beruf füllte ihn schon seit Jahren nicht mehr aus und bot ihm keine neuen Perspektiven.
    Es war keine gute Zeit für Varietékünstler – das Publikum kam schneller hinter seine Tricks als früher, und viele der letzten Vorstellungen hatten einen katastrophalen Ausgang genommen. Noch zehrte er von dem Ruf aus früheren Tagen, doch dieser nutzte sich ab wie ein billiger Gehrock. Sein Leben drehte sich mehr und mehr um seine bezaubernde Verlobte Charmaine, die er so bald wie möglich heiraten wollte, und um seine Träume. Seine Träume, nie mehr aufzutreten, sich nie mehr den kritischen Blicken und spottenden Kommentaren des Publikums aussetzen zu müssen.
    Konrad wollte ein neues Leben beginnen. Seit seine Engagements weniger wurden, hatte er notgedrungen mehr Zeit. Diese Zeit nutzte er mit der Lektüre ungewöhnlicher Bücher.
    Er las über Magie und Übersinnliches. Er entflammte an diesen gewagten Schriften und kam zu dem Schluss, dass der falsche Zauber, den er bislang betrieben hatte, nur eine Vorstufe gewesen war. Ein erster Schritt auf dem Weg zur echten Zauberei. Ja, kein Wunder, dass er in seinem Beruf nicht vorwärts kam. Er musste sich von den Tauben und Kaninchen, von den Tüchern und Zylindern lösen und die nächste Stufe erklimmen.
    Bei der Suche nach einem seltenen Buch begegnete er Charmaine Morice. Die junge Französin las dieselben Texte, denen auch sein Interesse galt. Ihre Bekanntschaft begann mit einem heftigen Streit über eines dieser antiquarischen Werke, das sich am Ende doch keiner von ihnen leisten konnte. Die beiden Phantasten kamen sich rasch näher und begannen eine Liaison. Konrad besuchte die Frau regelmäßig in ihrer kleinen Mietswohnung. Wenn die Wogen ihrer Leidenschaft sich legten, schmiedeten sie Pläne.
    Er träumte von einem Haus, einem großen Haus, das ihnen beiden gehören sollte, einem Ort, an dem sie ohne finanzielle Sorgen und ohne Störung von außen ihren Forschungen nachgehen konnten. Vielleicht würden sie sogar weitere Gleichgesinnte finden. Ja, möglicherweise konnten sie etwas Ähnliches wie eine Schule gründen. Ein Haus für jene, die mehr über die Dinge wissen wollten, die sonst verborgen blieben. Konrad war ein guter Redner. Er stand im Grunde gerne vor Menschen, verzauberte sie. Er würde bestimmt einen charismatischen Lehrer abgeben.
    Natürlich machte ihre finanzielle Situation ihnen kaum Hoffnungen auf eine solche Zukunft. Charmaine, die mit einer kleinen Erbschaft in der Tasche durch Europa gereist war, war inzwischen vollkommen abgebrannt und Konrad kaum in der Lage, sie beide zu ernähren. Von der Anschaffung eines Hauses ganz zu schweigen.
    Doch Charmaine hatte eine Fähigkeit. Wenn sie die Hand von jemandem ergriff, konnte sie ein wenig Ruhe und Gelassenheit schenken. Sie wollte diese Gabe nicht an die große Glocke hängen, aus Furcht, den Argwohn der Leute auf sich zu ziehen. Sie wusste, dass sie anders war ihre Mitmenschen. Die letzten Hexenprozesse mochten ein Jahrhundert zurückliegen, doch in den Köpfen der Leute hatte sich nicht so viel geändert wie in den Gesetzestexten. Sie ließen sich von Illusionisten wie dem Großen Konradi etwas vorspielen und wiegten sich in Sicherheit, wenn sie die Kniffe erahnten, die
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