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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 11 Herrenlose Bestien

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 11 Herrenlose Bestien

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 11 Herrenlose Bestien
Autoren: Martin Clauß
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Wahrscheinlichkeit“, sagte Salvatore. „Im magischen Weltbild gibt es so etwas wie Gerechtigkeit nicht. Der Magier hat erkannt, dass es nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat, wenn Wasser nach unten fließt oder Rauch nach oben steigt. Darin ähnelt das magische Weltbild dem wissenschaftlichen. Er sieht, dass es Gesetze gibt, ohne dass diese Gesetze einen tieferen moralischen Sinn haben müssen. Aber der Magier geht einen Schritt weiter. Er glaubt Verbindungen zu erkennen, die der Wissenschaftler nicht sieht. Er kann sich also vorstellen, dass der Feind deshalb starb, weil er ihn hasste.“
    „Und das bereitet ihm Gewissensbisse?“ Die Frage kam von Sanjay, der schönen Halbinderin.
    „Wenn ein Mensch stirbt, den viele Menschen hassten, wird jeder einzelne zum Mörder. Das ist das Schreckliche am magischen Denken – oder am Aberglauben, wie dieses Denken aus christlicher Sicht heißt.“
    „Wenn das so ist ...“ Georg Jergowitsch dachte laut nach. „Wenn das so ist, bringt das christliche Weltbild dem Menschen mehr Trost.“
    Georg schüttelte stumm den Kopf, und sogar Harald hielt den Blick gen Boden gerichtet. Viele Studenten schienen in Gedanken versunken zu sein. Schienen sich zu fragen, warum sie sich in ihrem Inneren nach dem richteten, was ihr Dozent das magische Weltbild nannte, obwohl sie vor einem christlichen Hintergrund aufgewachsen waren.
    „Der Trost hat seine Grenzen“, führte Salvatore weiter aus. „Lasst einen geliebten oder unschuldigen Menschen sterben, und die meisten Christen beginnen unverzüglich, mit Gott zu hadern. Anstatt sich mit ihrer individuellen Trauer zu begnügen, müssen sie Gott anklagen, weil sie von ihm Fairness in ihrem Sinne erwarten. Die Vorstellung einer übermenschlichen Gerechtigkeit funktioniert nur dann richtig gut, wenn es Menschen schlecht ergeht, die man für böse hält. Das ist der Fluch, den der christliche Glaube mit sich herumschleppt. Kommt es zu einem Krieg, wird jeder gefallene Gegner zu einem Beweis dafür, dass Gott auf der eigenen Seite steht. Aber was ist mit den Frauen und Kindern, mit den Menschen, die unschuldig oder im Dienste der Gerechtigkeit starben?“
    „Die Bergpredigt ruft dazu auf, sich mit seinen Feinden zu versöhnen“, gab Melanie zu bedenken.
    „Durchaus. Aber sie verbietet nicht, Gott zu danken, wenn er die Beseitigung der Feinde selbst in die Hand nimmt. Deshalb befreit die Bergpredigt die Menschen nicht von ihren Aggressionen. Sie macht sie vielmehr komplizierter – schwerer zu verstehen.“
    Felipe sagte: „Das ist also deine Meinung?“
    „Meine persönliche Meinung ist, dass es fair ist, zurückzuschlagen, wenn man geschlagen wird.“ Salvatore sah die Studenten nacheinander an. „Unfair und unmenschlich ist es, über einen Feind, dem es schlecht geht, zu sagen, Gott habe ihn gestraft. Im ersten Fall ist man Mensch, inklusive der Aggressionen und Selbsterhaltungsinteressen, die dazugehören. Im zweiten Fall stellt man sich neben Gott. Das ist Anmaßung und Größenwahn.“
    „Oder tiefe Gläubigkeit“, meinte Melanie.
    Salvatore lächelte und antwortete nichts. Nachdenkliche Stille senkte sich über den Seminarraum.
    Diese Stille währte keine zwanzig Sekunden, da wurde sie von einem lauten Krachen zerrissen.
    Die Köpfe aller Anwesenden ruckten herum.
    Gegen eines der Fenster war etwas geprallt, irgendein schwerer Körper war von außen dagegen geschleudert worden. Als die Blicke aller sich an das Fenster hefteten, war nichts mehr zu sehen.
    „Da war ein Schatten“, sagte Georg. Er stand als erster am Fenster. Der Dozent drängte sich neben ihn, und die anderen erhoben sich ebenfalls. Nur Madoka blieb auf ihrem Platz sitzen.
    Im nächsten Moment stießen sie alle einen synchronen Schrei aus. Der Körper eines Hundes warf sich gegen das Fenster, das bedrohlich knackte. Eine der kleinen Scheiben bekam einen Sprung. Der Hund hatte nach dem Rahmen geschnappt, diesen jedoch verfehlt und war wieder hinabgefallen.
    Es war nicht der muntere Zwergschnauzer, dessen Bekanntschaft Salvatore vor dem Haus geschlossen hatte. Es war ein hellbrauner, langhaariger Collie, und in diesem Moment startete er einen neuen Angriff.
    Georgs Hände flogen hoch und stemmten sich gegen das Holzgitter, das die Scheiben hielt. Trotzdem konnte er nicht vermeiden, dass ein neuer Sprung im Glas entstand. Mit einem wütenden Knurren fletschte das Tier die Zähne, schnappte nach dem Fensterbrett und blieb dort einen Moment hängen, ehe es sich
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