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Falkengrund Nr. 32

Falkengrund Nr. 32

Titel: Falkengrund Nr. 32
Autoren: Martin Clauß
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einen riskanten Ausspruch, und schließlich sagte er: „Dabei verdiene ich heute noch das Zehnfache von ihm.“
    „Wirklich?“
    „Nicht, dass ich damit angeben möchte …“
    „Und trotzdem verspottet er Sie?“
    Schlagartig wurde sein Gesicht wieder ernst. Er kaute an seiner Unterlippe, und die Enden seines Schnurrbarts zitterten. „Ich verkaufe an Damen über Vierzig, er an junge Dinger wie Sie.“
    „Und darauf bildet er sich was ein?“
    „Ja.“ Der Mann ballte in einer sympathisch impulsiven Geste die Fäuste. „Und er hat verdammt noch einmal recht damit! Es ist das Größte für jeden Modedesigner, die Jugend einzukleiden.“
    Mama kniff die Augen zusammen, als sie in einer entfernten Ecke des weitläufigen Gartens schemenhaft ein Pärchen ausmachte, und sie schloss die Augen, als sie erkannte, was die beiden taten. „Sie sind sehr offen zu mir“, wunderte sie sich.
    „Das könnte daran liegen, dass ich eben das dritte Glas Whisky leer zurückgegeben habe. Dabei fällt mir etwas ein, was mir noch viel mehr Offenheit abverlangt. Es war irischer Whisky. Er schmeckt besser als der schottische.“
    „Jetzt machen Sie aber Witze!“
    „All right, Sie haben mich durchschaut. Er schmeckt wie Spülwasser. Aber Dunstey hat keinen anderen vorrätig, und seine Farbe erinnert mich an echten Whisky – zumindest bei der schummrigen Beleuchtung …“
    Mama musste laut lachen. Ihr Lachen verebbte nur langsam, und die Stille, die danach zwischen ihnen einkehrte, war eine angenehme, wie zwischen zwei Freunden. „Es ist das erste Mal, dass ich eine solche Party besuche“, gestand sie ihm. „Mit der Modebranche hatte ich bisher nichts zu tun.“
    „Wirklich? Ich wusste doch gleich, dass sie anders sind – auf mich haben Sie von Anfang an einen … warten Sie … einen erfrischenden Eindruck gemacht.“ Er betrachtete sie von oben bis unten, und es hatte nichts Anzügliches an sich, weil es aussah, als würde er fachmännisch ihre Maße nehmen, um ihr ein Kostüm anzupassen. „Es wäre aber zu schade, wenn Sie nach diesem Abend gleich aus unserer verrückten Welt verschwinden würden.“
    „Es ist nett, dass Sie das sagen.“ Beide drehten sie verschämt die Gesichter voneinander weg. Inzwischen hatte sich ein weiteres Pärchen auf dem Balkon eingefunden und tauschte unter heftigem Stöhnen Zungenküsse aus. Erst auf den zweiten Blick erkannte Mama, dass es sich bei dem männlichen Teil um Roy Richter (Rickter) handelte. Die Frau war eine wunderschöne Blondine, deren geschlitztes Kleid die unglaubliche Länge ihrer Beine enthüllte – und ein edelsteinbesetztes Strumpfband dazu.
    „Gehen wir wieder hinein?“, meinte MacNorras. Mama nickte, und als sie zwischen die dicht stehenden Menschen eintauchten, fragte sie ihn: „Und Dunstey? Gehört er noch zu den Jungen Wilden?“
    „Jedenfalls ist er jünger und wilder als ich. Seine schlabberigen Trainingshosen verkaufen sich dieses Jahr wie verrückt, und seit ein paar Tagen kommt man damit in jedes Luxuslokal hinein. Die reichen Kids tragen sogar Krawatten dazu. Mit Golfballmuster. Man muss das nicht gesehen haben.“
    „Aber seine Show war gut?“
    Er hob die Augenbrauen, was ihn aussehen ließ wie einen alten Lord. „Eines seiner Kleider hatte eine zwölf Meter lange Schleppe aus Alufolie. Die Reporter knipsten wie verrückt. Aber nur, weil man fünf Helfer brauchte, um das Monstrum am Ende des Laufstegs zu wenden. Es verhedderte sich in der Hochfrisur einer Zuschauerin. Die Engländer stehen auf solche Slapstick-Einlagen. Wie ich schon sagte: Es ist eine verrückte Welt. Aber das muss so sein.“
    F. Dunstey tauchte vor ihnen auf und lief geradewegs in ihr Lachen hinein. Er machte einen leicht hektischen Eindruck. „Ihr amüsiert euch schön?“, wollte er wissen.
    „Ja, und zwar über dich“, erwiderte MacNorras.
    „Das ist sehr gut“, sagte er abwesend. „Übrigens: Kennt ihr die Dame in Rot da hinten? Sie sieht zum Fürchten aus, und sie schielt die ganze Zeit in meine Richtung.“
    Von hier aus war nicht viel zu erkennen. Aber tatsächlich bewegte sich eine großgewachsene, längst nicht mehr junge Dame in einem riesigen blutroten Kleid durch die Menschenmassen hinter dem Gastgeber her. Sie hielt einen gewaltigen roten Fächer in der Hand, unter dem eine fünfköpfige Familie Schutz vor dem Regen gefunden hätte. Und hier habe ich mein rotes Kleid , dachte Mama. Der Russe hatte recht. Rot ist eine Provokation.
    „Du hast sie nicht
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