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Falkengrund Nr. 32

Falkengrund Nr. 32

Titel: Falkengrund Nr. 32
Autoren: Martin Clauß
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geparkten Autos öffnete, meldete sich sein Handy.

9
    Eine Hütte, abgelegen auf einem bewaldeten Berghang, aber gut gepflegt, mit einem Stromgenerator und einem großen Trinkwassertank. Eine Solaranlage auf dem nach Süden gewandten Dach sorgte für warmes Wasser, eine Satellitenschüssel für Fernsehempfang. Toilette und Dusche waren sauber und erst kürzlich renoviert worden.
    Doch in dem großen Hauptraum herrschte ein Tohuwabohu erster Klasse. Möbel waren umgestoßen worden, zerbrochenes Geschirr lag auf dem Fußboden, nur notdürftig mit einem großen Besen zu den Wänden hin geschoben. An allen Steckdosen hingen Lampen und Strahler, daneben gab es Taschenlampen auf Batteriebasis, wohl für den Fall, dass der Strom ausfiel. Das Zimmer war hell erleuchtet bis in den letzten Winkel.
    „Wovor haben Sie Angst?“, fragte Angelika vorsichtig, als ihr Entführer sie in den Raum drängte. Inzwischen hatte er ihr die Arme auf den Rücken gebunden und dafür seine Waffe eingesteckt.
    „Das weißt du sehr gut, Angelika“, behauptete der Mann. „Aber der Terror hat heute Nacht ein Ende. Denn jetzt bist du bei mir.“
    Sie antwortete nichts, verstand nichts, dachte nichts. Alles, was sie tat, war in dem Chaos des Raumes nach Spuren von Kämpfen zu suchen, nach Blut, Kleiderfetzen oder gar … toten Körpern. Sie beschäftigte nur die Frage, ob der Verrückte sie hergebracht hatte, um sie zu töten. Ob es Hinweise darauf gab, dass er schon mehr junge Frauen hier ermordet hatte. Sie verstand nicht, warum er ausgerechnet sie wählen musste! Sie war beileibe keine Schönheit – selbst nach Sanjays Tod gab es hübschere Frauen auf Falkengrund als sie. Melanie zum Beispiel, selbst Jaqueline, überhaupt jedes weibliche Wesen stach sie aus. Waren es nicht schöne Frauen, auf die es diese Wahnsinnigen abgesehen hatten?
    Nein, dieser bildete eine Ausnahme. Er hatte ihren Namen gekannt, war nur wegen ihr nach Falkengrund gereist.
    Warum? Woher kannte er sie? Sie hatte sich in ihrem Leben nichts zuschulden kommen lassen, war in der Öffentlichkeit nicht hervorgetreten, hatte sich keine Feinde gemacht.
    Auf der mehr als zweistündigen Fahrt hierher war kein Gespräch zustande gekommen. Immer wieder hatte sie ihn angesprochen, doch das nervöse Zucken der Hand, in der der Revolver lag, hatte sie verstummen lassen. Ihr Entführer steuerte den Daimler so unrund, dass sie halb fürchtete, halb hoffte, die Polizei würde auf ihn aufmerksam werden. Seine Blicke zuckten hin und her, er starrte in vorbeifahrende Autos hinein und sah Passanten nach. Er schien etwas Erschreckendes in ihnen zu erkennen, zumindest für Augenblicke, ehe er einsah, sich getäuscht zu haben.
    Im Inneren der Hütte besserte sich seine Verfassung nicht. Im Gegenteil, der augenscheinlich Wahnsinnige sah sich gehetzt um. Die Enge der vier Wände schien ihm das Gefühl zu geben, in der Falle zu stecken. Gleichzeitig verlangte es ihn wohl nach einer Zuflucht, wo er vor der Bedrohung sicher war, der er sich ausgesetzt glaubte.
    Angelika war sicher, dass die Gefahr nur in seinem Kopf existierte. Die Gefahr für sie dagegen war umso realer …
    „Das soll wohl deine Rache sein, was?“, platzte er heraus. Er versetzte ihr einen Schlag gegen die Brust, dass sie rückwärts über das Gerümpel auf dem Boden stolperte und auf eine Bettcouch fiel, die an der Wand stand. „Du hast ja lange damit gewartet, das muss man dir zugestehen. Hast uns in Sicherheit gewiegt, all die Jahre hindurch. Lass dir eines gesagt sein, Mädchen: Die Sache damals, die war nicht mehr als ein dummer Unfall. So etwas passiert überall einmal, und ich lasse nicht zu, dass du uns … mich … dafür verantwortlich machst. Hier sind wir allein. Ungestört. Wenn das Ding kommt, wirst du es wegschicken. Für immer wegschicken. Hast du verstanden? Wenn du das nicht tust, dann … dann …“ Wieder tastete seine Hand nach der Waffe, zog sie jedoch nicht aus der Tasche.
    In Abständen von wenigen Minuten wurde Angelika von Weinkrämpfen geschüttelt, so heftig, dass ihre inneren Organe sich schmerzhaft zusammenzogen. Dazwischen bemächtigte sich eine merkwürdige Apathie ihrer, sie wurde gleichgültig und ergab sich in ihr Schicksal. Welcher von beiden Zuständen schlimmer war, hätte sie nicht sagen können. Jedes für sich und beides zusammen war die Hölle. Sie konnte sich nicht entsinnen, jemals schlimmere Stunden durchlebt zu haben.
    Wirklich nicht?
    Es gab Erinnerungen, die man am liebsten ans
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