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Falkengrund Nr. 32

Falkengrund Nr. 32

Titel: Falkengrund Nr. 32
Autoren: Martin Clauß
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Jahrhundert, eines von denen, die dem Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg entgangen waren. Dort hätte sich ebenso gut ein Museum oder ein Archiv verbergen können. Wäre der hübsch angelegte, weitläufige Park nicht gewesen, der sich hinter dem Haus erstreckte, hätte der Beamte es als denkbar ungeeignet empfunden. Die dicken Wände strahlten nach außen hin eine Eiseskälte aus, während das Haus im Inneren ansprechend ausgestattet war. Allerdings umwehte die schweren Möbel mehr als nur ein Hauch von Alter. Die moderne Zeit schien weitgehend ausgesperrt.
    Erfreut registrierte er, dass die Leiterin des Heims Siefert hieß – der Name tauchte in Angelikas kurzem Text auf.
    „Fachinger, Kriminalpolizei“, stellte er sich vor, als er in dem kunstvoll verzierten Besuchersessel ihres Büros Platz nahm. Es irritierte ihn, dass das Möbel unter seinem Gewicht knarrte. Er hatte keine offizielle Order, sich des Falles anzunehmen, aber das kümmerte ihn nicht.
    Die Siefert war eine hagere, streng wirkende Frau mit bleigrauen Haaren und ebensolchen Augen. Streng, ja, aber nicht boshaft. In ihren Blicken war das Bewusstsein der schweren Verantwortung, die sie trug.
    „Hat einer meiner Schützlinge etwas ausgefressen?“, erkundigte sie sich mit erstarrten Zügen, und Fachinger schien es, als bereite sie innerlich schon einen Katalog an Rechtfertigungen vor über die Aufgabe, die elternlosen Kinder in unserer an Moral und Disziplin armen Gesellschaft zu Anstand und Gesetzestreue zu erziehen.
    Der Beamte zerstreute ihre Sorgen, ehe die Falten auf ihrer Stirn sich bis in den Knochen eingraben konnten. „Mitnichten, Frau Siefert. Ich komme wegen einer sehr alten Geschichte, und ich sehe im Moment nicht, warum Ihnen daraus irgendwelche Probleme erwachsen sollten.“ Unwillkürlich bediente er sich einer etwas geschraubten Sprache. Sie schien zu der Umgebung zu passen. Eine ältliche Bedienstete, die in ihrer Art etwas von einer Ordensschwester an sich hatte, brachte ihm einen Tee, und er nippte an dem dampfenden Getränk. Es schmeckte vorzüglich. „Es gab hier einmal ein Kind namens Angelika Dahlkamp, nicht wahr?“
    „Ja, natürlich“, antwortete die Heimleiterin spontan. Sie erhob sich, ging ins Nebenzimmer und kehrte mit einem Ordner wieder zurück. „Ja, hier ist sie. Sie kam 1985 im Alter von drei Jahren zu uns. Sie verließ uns erst vor fünf Jahren, als sie volljährig wurde. Angelika ist doch nichts … zugestoßen?“
    „Aber nein“, behauptete Fachinger, obwohl ihm keinerlei Information darüber vorlagen, was dem Mädchen in der Zwischenzeit widerfahren war. Es war der Abend des Tages von Angelikas Entführung. Meyer war es vorläufig gelungen, der nur langsam anlaufenden Fahndung zu entgehen. Der Daimler mit dem ausgetauschten Nummernschild war durch das Netz der Polizei geschlüpft. Früher oder später würde man ihn finden, daran konnte gar kein Zweifel bestehen, doch wie weit war es von „spät“ bis „zu spät“? Eine sofortige Durchsuchung seiner Wohnung hatte nichts ergeben. Dort hielt sich weder er noch die Entführte auf. „Was für ein Kind war Angelika?“
    Die Heimleiterin erzählte ihm nichts Neues. Sie beschrieb ein stilles Mädchen mit überschäumender Fantasie, das weitgehend in Träumen lebte, gerne schrieb und sich fremde Welten ausdachte. Ihre schulischen Leistungen waren durchschnittlich, ihr Betragen ebenfalls.
    „Kennen Sie diese drei Männer?“ Fachinger hatte sich Fotos von Freiling, Kostlek und Meyer ausgedruckt. Da es sich um Vergrößerungen von komprimierten Bildern aus dem Internet handelte, ließ die Qualität zu wünschen übrig, aber wer die drei wirklich kannte, musste sie wiedererkennen.
    Die Siefert ließ sich Zeit, um die Fotos gründlich zu betrachten. Der Kripomann beobachtete ihre Miene in dieser Zeit genau. Einmal bildete er sich ein, ein verdächtiges Zucken auszumachen, das darauf hinwies, dass sie möglicherweise versuchen würde, die Wahrheit zu verschleiern, doch dann war er sich nicht sicher. Ihr Gesicht war voller Zweifel und komplizierter Emotionen. Das gehörte wohl zu ihrem Charakter. „Nein“, meinte sie. „Ich kann mich nicht erinnern, diese Herren jemals gesehen zu haben.“
    Nickend nahm Fachinger die Ausdrucke wieder entgegen. „Um noch einmal auf Angelikas Fantasie zurückzukommen“, begann er. „Hat sie öfters von einem … Sandmann gesprochen?“
    Die Augen der Heimleiterin wurden groß, dann lachte sie plötzlich. Es war ein gepflegtes,
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