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Falkengrund Nr. 31

Falkengrund Nr. 31

Titel: Falkengrund Nr. 31
Autoren: Martin Clauß
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ihrer Nähe. „Einen nach dem anderen. Jeden, der einen Tropfen von ihrem Blut hat. Jeden. Verstehst du?“
    Ein Schwindelgefühl überfiel Sanjay. Sie ging in die Hocke, stürzte sich mit den Händen auf dem Boden ab.
    Die Regale schienen näher zu kommen, sich über sie zu beugen.
    „Sie ist hilflos“, wisperte es. „Ein hilfloses, junges, blondes Ding.“
    Sie reden nicht über mich , versuchte Sanjay sich selbst zu beruhigen. Sie nehmen mich nicht einmal wahr. Sie können mir nichts anhaben – das alles sind nur Erinnerungen für sie, die sie ständig neu durchleben.
    Und dann dachte sie: Ich will nach Hause. Zurück nach Falkengrund. Wenn ich nur noch ein wenig länger hier bleibe, verliere ich den Verstand.
    Sanjay begann um Hilfe zu rufen.

8
    „Das dürfte es sein, was Sie suchen. Ein Tank zur Herstellung von Kaffee.“ Wim Scherz klopfte gegen das Kupfer. Es klang hohl, blechern – ein langweiliger, unmusikalischer Laut. „Sieht ein bisschen aus wie ein Brauereikessel, nicht wahr? Man kann schon Durst bekommen, wenn man zu lange hinsieht. Im Inneren wurde ein Skelett gefunden. Den Toten hatte man nicht einfach nur darin versteckt. Nein, der Mann wurde darin getötet.“
    Margarete steckte die Hände aus, um die Oberfläche zu betasten. Da gab es nicht viel zu fühlen. Ein zylinderförmiges Ding, höher als sie, groß genug, um nicht nur eine, sondern mehrere Leichen aufzunehmen. Sie kniff die Augen zusammen, und tatsächlich konnte sie eine winzige Schliere Helligkeit erkennen – zweifellos die metallische Reflektion einer grellen Lichtquelle. Für die anderen musste dieser Schein blendend hell sein.
    Sie horchte in den Kessel hinein, ob vielleicht unter der Oberfläche etwas zu spüren war. Eine Kraft. Etwas Lebendiges.
    Aber da war nichts. Nur das tote Metall. Auf einmal war sie nicht mehr sicher, ob ihre Reise nicht umsonst gewesen war.
    „Was sehen Sie, Frau Gunkel?“, erkundigte sich Margarete und wich zwei Schritte zur Seite.
    „Was soll ich schon sehen? Ein hässliches Ding aus Kupfer.“
    „Suchen Sie Ihr Spiegelbild auf der Oberfläche!“
    „Und wieso?“
    „Bitte!“
    Nach einer Weile meinte die Gunkel desinteressiert: „Ich weiß wirklich nicht, auf was Sie hinauswollen.“
    Margarete verfluchte ihre Blindheit. Was hätte sie nicht alles darum gegeben, Traude Gunkels Reflektion zu sehen – und ihre eigene. War wirklich nichts Besonderes zu erkennen? Oder verschwieg die Frau ihr etwas?
    „Herr Fachinger?“, wandte sie sich an den Beamten. Oder versuchte es zumindest, denn als er antwortete, kam seine Stimme aus einer ganz anderen Richtung als der, in der sie ihn vermutet hatte.
    „Da ist tatsächlich nichts los“, meinte er. Man konnte beinahe hören, wie er mit den Schultern zuckte. „Ein paar Schlieren, verzerrte Bruchstücke von Spiegelbildern. Vielleicht müssen wir uns besser konzentrieren. Zur Ruhe kommen. Verflucht, wenn es nur nicht so kalt wä-…“ Er wurde von einem erneuten Niesanfall unterbrochen. „Ich bin total durchnässt“, entschuldigte er sich.
    „Vielleicht sollten Sie nach oben in die Wärme gehen“, schlug Margarete vor. „Dasselbe gilt natürlich für Sanjay.“
    Margarete wartete auf eine Antwort. Die kam von Fachinger in Form einer Frage: „Wo ist denn Frau Munda abgeblieben?“
    „Ja, die junge Dame muss irgendwo eine andere Abzweigung genommen haben“, meinte ihr Führer. „Hoffentlich hat sie sich nicht verlaufen. Sie wäre nicht die erste.“
    „Sanjay ist nicht mehr da?“, fragte Margarete alarmiert.
    „So viel zur Disziplin Ihrer Studenten“, kommentierte Traude Gunkel. „Vermutlich fingert sie gerade ein wichtiges Beweisstück aus der Tüte.“
    Margarete wollte etwas erwidern. Da hörte sie etwas. Sehr leise und verloren in einer Welt aus Hall. Ein fernes Rufen hinter dem Summen der Klimaanlage. Es klang nach Sanjay. Auf jeden Fall war es eine Frauenstimme.
    „Hört ihr das auch?“, flüsterte sie.
    Die anderen schwiegen. Ja, das machte Sinn. Obwohl es noch nicht lange zurücklag, dass sie ihr Augenlicht verloren hatte, war ihr Gehör bereits feiner geworden. So etwas passierte ganz automatisch.
    „Sie ruft uns“, stellte sie fest. „Ich gehe sie suchen.“
    Fachinger berührte sie an der Schulter. „Sie? Wäre es nicht besser, wenn ich oder Herr Scherz …“
    „Sie merken doch: Die einzige, die sie hört, bin ich!“
    „Wir könnten mitkommen.“
    „Die Geräusche, die Sie machen, würden mich ablenken.“
    „Die
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