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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30
Autoren: Martin Clauß
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Zimmern eingeschlossen hatte (nur um in Ruhe seinen Basteleien nachgehen zu können, den Vorbereitungen zu seiner neuen Zauberschau?), hatte er den Schlüsselbund wohl mitgenommen. Sicher war er in die Stadt gefahren, um noch mehr von diesem Zeug anzuschleppen.
    Als sie aus einem der Räume wieder in die Halle trat, hörte sie eine Folge rascher Piep-Geräusche. Das Morsegerät hatte sich zu bewegen begonnen und schickte eine monotone Flut hoher, abgehackter Töne in den Raum. Sie hatte keine Ahnung vom Morse-Alphabet und würde nie begreifen, wie Menschen aus dem rasenden Dididit-Dadadat eine Bedeutung herauslesen konnten. Hilflos stand sie drei Schritte vor dem Gerät und starrte es an. Wünschte, es würde verstummen. Sie konnte kein Kabel erkennen und wollte nicht darüber nachdenken, woher es seinen Strom bezog. Zwei Käfer krabbelten um den Apparat herum. Dass er sich bewegte und Laute ausstieß, schien sie nicht zu stören.
    Wahrscheinlich gefiel ihnen das sogar. Das Morsegerät war ihr Freund. Ja! Bestimmt war die Schreibmaschine auch ihr Freund gewesen. Und Edeltraud hatte ihrem Freund den Todesstoß versetzt.
    Das Morsegerät würde sie nicht anrühren, und wenn es sich durch den Fußboden morste.
    Sie stellte ihre Reisetasche ab, behielt das Messer in der Faust, nahm mit der freien Hand einen Stuhl – den einzigen, den sie fand – und ging damit zur Tür. Sie wollte die Tür öffnen und den Stuhl dagegen lehnen, damit sie offen blieb. Es würde sie beruhigen, die frische Abendluft zu schmecken und ihren Fluchtweg jederzeit sehen zu können, das Loch in diesem Kasten voller Irrsinn.
    Bis sie die Klinke drückte, war sie fest davon überzeugt, auf keinerlei Widerstand zu stoßen. Schließlich hatte es sich vor zehn Minuten noch öffnen lassen.
    Doch die Tür war verschlossen. Edeltraud warf sich dagegen, trat mit dem Bein zu, und zuletzt schleuderte sie den Stuhl gegen die Tür. Der Stuhl zerbrach, die Tür hielt.
    Die Anspannung und Unruhe, die in ihr war, verwandelte sich in Panik, dagegen konnte der Absinth nichts ausrichten. Sie lief auf eines der Fenster zu, dann zu dem Regal, um etwas Schweres auszuwählen, mit dem sie die Fensterscheiben zerbrechen konnte.
    In diesem Moment läutete das schwarze Telefon.
    Ich werde nicht rangehen. Ich werde diesen Hörer nicht abheben, um mir etwas Schreckliches anzuhören. Niemand, den ich kenne, weiß, dass ich hier bin, also kann der Anruf nicht für mich sein. Niemand, den ich kenne, hat überhaupt ein Telefon.
    Vorsätze dieser Art sind nicht viel wert, wenn man in einer bedrohlichen Situation steckt und nach jeder Information, jeder Erklärung giert. Samuel Rosenberg hatte ihre eine Botschaft zugesandt, vor wenigen Minuten hatte er mit ihr über die Schreibmaschine kommuniziert, vermutlich hatte er sie über das Morsegerät zu erreichen versucht, und nun wartete er am anderen Ende der Strippe (wo immer das war) darauf, ihr weitere Hinweise zu geben.
    Sie musste abheben.
    Nein. Sie würde diese Spielchen nicht mehr mitmachen. Das alles trug die Handschrift eines Illusionisten. Konrads Handschrift. Bist du im 1. Stock, schließe ich im Erdgeschoss die Tür zu. Bist du vom Blitzlicht geblendet, trete ich in Aktion, schaust du hierhin, bin ich dort. Es dreht sich alles nur darum, wo du gerade hinsiehst und wo nicht. Im toten Winkel deiner Blicke und Gedanken warte ich. Die Käfer brauche ich, weil du Angst vor ihnen hast und es dir schwerfällt, sie aus den Augen zu lassen. Das elektrische Licht soll dich ebenfalls irritieren. Während du den Hörer abhebst und eine Botschaft entgegennimmst, die dich noch mehr verängstigt, treffe ich an einer anderen Ecke des Hauses Vorbereitungen für den nächsten Akt dieser schwarzen Komödie, über die nur ich lachen kann.
    Sie wollte nicht abheben.
    Hallo, Edeltraud. Hier ist Samuel. Ich bin dort oben in einem der Zimmer gefangen, aber ich weiß, wo der Herr des Hauses den Schlüssel aufbewahrt. Oh, G-tt, ist es schön, dich erreicht zu haben. Es ist schrecklich hier, hilflos, den Tod vor Augen …
    Sie näherte sich dem Apparat, halb hoffend, halb fürchtend, dass das Klingeln abbrach. Zuletzt konnte sie gar nicht anders, als nach dem Hörer zu greifen. Eine Handvoll Käfer, die sich um das Telefon geschart hatten, gingen auf Distanz, beobachteten, wie es schien.
    Stille in der Leitung.
    „Hallo?“
    Leises Rauschen in weiter Ferne. Dann eine Stimme, die sie kannte. Oder auch nicht kannte. Dieselbe dünne, schwache Stimme,
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