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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30
Autoren: Martin Clauß
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der sie beigewohnt hatte. Der Fotograf hatte ihr erklärt, das Blitzlicht basiere auf Magnesium und einer Schwefelverbindung.
    Hatte sie jemand fotografiert? Oder war der Blitz eine parapsychologische Erscheinung, die spontane Entladung einer nicht-irdischen Energie?
    Nach dem Blitz war die Dunkelheit nahezu undurchdringlich geworden, und ihre Fantasie malte das schwarze Nichts mit wilden Bildern voll. Aus der Finsternis vor ihr schienen Schlangenarme und Dämonenfratzen zu wachsen, und es kostete sie alle Überwindung, blind die nächsten Schritte in eine Welt zu setzen, die mehr mit dem zu tun hatte, was die Priester in der Heiligen Messe über Hölle und Fegefeuer erzählten, als mit dem, was sie jeden Tag sah.
    Sie hielt ihr Messer jetzt hoch – und erwartete, dass es ihr jeden Augenblick von einer irdischen oder überirdischen Macht aus der Hand geschlagen würde.
    Die erste Tür erreichte sie mehr tastend als sehend. Und vielleicht war das der Grund dafür, dass sie etwas spürte. Zu spüren glaubte . Eine leichte Vibration, als geschehe etwas hinter der Tür, irgendetwas. Auch diese Tür war verriegelt. Edeltraud wagte es, mit der Faust dagegen zu pochen. Ihre Anwesenheit auf Falkengrund konnte längst nicht mehr unbemerkt geblieben sein. Die Kutsche mochte man noch überhört haben, aber das Zerschmettern der Schreibmaschine und ihr Schrei waren laut genug ausgefallen, um Tote aufzuwecken. Falls sich jemand auf Falkengrund aufhielt, war er gewarnt.
    Aber was, wenn es hier nur Maschinen gab?
    Wenn der Herr des Hauses weder Konrad Winkheim noch Barons von Adlerbrunn hieß, sondern Elektrizität?
    Unter ihrem Schuh knackte es. Eine Handvoll kleiner dunkler Schatten huschten in der Dunkelheit über den Fußboden. Die Käfer! Edeltraud schüttelte sich und begann auf der Stelle zu gehen, damit sie keine Gelegenheit hatten, an ihr hochzuklettern. Doch sie schienen sich nicht für sie zu interessieren. Offenbar entströmten sie einer Ritze unter der Tür, durchquerten den Flur und krabbelten auf der anderen Seite an der Wand entlang hinüber in Richtung linker Flügel. Die Wanderung lief auch in umgekehrter Richtung ab. Von drüben eilten einzelne Tiere zu der Tür, vor der sie stand, und fanden – ganz im Gegensatz zu ihr – leicht Zugang zum Zimmer.
    Die Käfer hatten sie abgelenkt, doch jetzt hörte sie deutlich die Laute von hinter der Tür. Es schien eine menschliche Stimme zu sein, sehr schwach und dünn. Irgendetwas rief sie, aber … was?
    „Koooomm … koooooooom …“
    Es klang nicht gedämpft, nicht, als hätte man der Person, die das Wort gedehnt und unnatürlich ausstieß, den Mund zugebunden oder einen Knebel zwischen die Kiefer gesteckt. Es klang einfach unendlich weit weg, kraftlos und hell. Gehörte die Stimme Samuel? War es überhaupt eine Männerstimme, überhaupt eine menschliche Stimme? Wie konnte ein Mensch so dünn klingen? War die Person schon tot – wehte ihre Stimme aus dem Jenseits herüber?
    Der Baron? Rief der Baron aus dem Totenreich?
    „Aufmachen!“, schrie Edeltraud und schlug heftiger gegen das Holz. „Öffnen Sie die Tür!“
    Natürlich rechnete sie nicht ernsthaft damit, dass ihrer Aufforderung Folge geleistet würde. Von innen war die Tür bestimmt nicht verschlossen worden. Sie einzuschlagen, würde nicht einfach werden. Aber eventuell hatte sie eine Chance, die Schlüssel zu finden. Wenn der Herr des Hauses ein lebendiger Mensch war, weilte er vielleicht gerade nicht auf Falkengrund, sonst hätte er sich längst gezeigt. Also konnte sie unbehelligt nach den Schlüsseln suchen.
    Und genau das tat sie. Sie lief die Treppe in die Halle hinunter, wo es heller, aber noch unheimlicher war. Im zuckenden Licht der Stromblitze suchte sie nach einem großen Schlüsselbund. Sie suchte an den Wänden, in den Regalen zwischen den eisernen Bauteilen, in den Räumen. Hier unten gab es keine verschlossenen Türen, doch diese Räume boten nur weitere Stahlregale voll von unförmiger Technik. Einige Geräte schienen funktionsfähig zu sein, andere wirkten ausgeschlachtet, unfertig oder defekt. Auch hier begegneten ihr des Öfteren Käfer. Es war schwierig, in ihren Bewegungen ein Muster zu erkennen – sie schienen in alle Richtungen zu krabbeln, wirkten dabei jedoch zielstrebig und konzentriert.
    Beinahe, als wären sie ein geheimer Bestandteil der Technik.
    Keine Spur von den Schlüsseln. Falls Konrad der durchgedrehte und gefährliche Herr des Hauses war, der die anderen in den
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