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Falkengrund Nr. 30

Falkengrund Nr. 30

Titel: Falkengrund Nr. 30
Autoren: Martin Clauß
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Hand lag auf einem Tisch, lag ungenau dort, sank in die Tischplatte ein, überlagerte sich mit ihr. Wenn sich die Finger schlossen, konnten sie die Käfer nicht greifen.
    Dennoch spürten die Tiere, dass dort etwas war. Sie hielten für einen Augenblick inne, reckten ihre Fühler, warteten. Und dann, wie auf ein Kommando hin, setzten sie sich wieder in Bewegung, machten Platz für ihre nachrückenden Artgenossen.
    Neben dem Tisch stand der Besitzer der Hand. Unstet, unruhig, unmenschlich, als wäre er selbst ein riesiges zitterndes Insekt in seiner Rüstung aus dicker, vornehmer Jagdkleidung. An den Konturen seiner Gestalt knisterte die Luft. Seine Augen glommen in einem schwachen gelben Licht, und die Farben seiner Haut und seiner Kleidung wirkten mal verschossen und blass, mal grell und unwirklich, als sei er eine Puppe aus bunten Tüchern, in deren Innerem ein sterbendes Petroleumlicht flackerte.
    Sie war in Gefahr. Die Frau. Es hätte ihn nicht kümmern dürfen.
    Aber es machte ihm etwas aus.
    Nicht, dass sie ihm etwas bedeutet hätte. Als Frau. Aber er spürte, dass sie schon einmal hier gewesen und geflohen war. Vor Charmaine. Oder eigentlich vor ihm.
    Warum beachtete er sie überhaupt? Gewöhnlich berührte es ihn nicht, was mit den anderen geschah. Selbst Charmaine war ihm gleichgültig.
    Vielleicht lag es an der Konstellation. Diese Frau war unschuldig, und sie lief in eine Falle. Er konnte das nicht ertragen. Einst hatte er seine Frau Katharina in eine tödliche Falle gelockt.
    Das vermochte er nicht mehr rückgängig zu machen, obwohl seither keine Sekunde vergangen war, in der er es sich nicht gewünscht hätte.
    Aber diese Frau. Sie würde sterben.
    Vielleicht sollte er etwas tun.
    Vielleicht nicht.

4
    Du musst dir die zerschmetterte Apparatur genau ansehen. Du musst den Mechanismus finden, der diesen Wahnsinn bewerkstelligt hat!
    Anstatt sich den Überresten der Schreibmaschine zu nähern, wich sie nur weiter zurück. Sie wusste gut genug, dass sie nichts finden würde. Sie wusste aber auch, dass es nichts nützen würde, vor der Apparatur wegzulaufen. Der Spuk wohnte nicht in der Maschine, er wohnte in diesem Haus – mehr noch, auf dem gesamten Anwesen.
    Flucht kam diesmal nicht in Frage. Mit einem Schlag war Edeltraud ziemlich sicher: Der Hilferuf gehörte nicht zu Konrads Tricks – er war echt gewesen. Sie konnte hier nicht weg, ehe sie Samuel gefunden hatte. Durch ein Haus zu spazieren, in dem ein launischer Geist spukte, war kein Spaß, zugegeben, doch einen Menschen im Stich zu lassen, den man vielleicht hätte vor dem Tod retten können, war schlimmer.
    Sie klemmte sich das Messer unter den Arm und kramte in ihrer Tasche nach dem Absinth. Einen kleinen Schluck nahm sie aus der Flasche, dann noch einen größeren, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Große Flaschen verlangten große Schlucke – alles andere hieß, sie zu betrügen. Ohne Wasser schmeckte der Absinth wie Medizin.
    Die Schreibmaschine gab keinen Mucks mehr von sich. Edeltraud ging in respektvollem Abstand daran vorbei und probierte die Klinken jener Türen, die sie bislang noch nicht versucht hatte. Das elektrische Blinken, das bis in den Korridor reichte, schien hektischer, schneller geworden zu sein. Sie hatte einmal jemanden sagen hören, der elektrische Strom mit seinem hellen Licht würde die Gespenster aus den alten, mit Gas oder Petroleum mehr schlecht als recht beleuchteten Häusern vertreiben. Es war fraglich, ob der, der diese Behauptung aufgestellt hatte, jemals einen echten Spuk miterlebt hatte. Denn er hatte so offensichtlich unrecht! Das zuckende Blitzen aus der Eingangshalle schien selbst ein Teil einer anderen Welt zu sein, und wenn es im Hinblick auf einen Spuk etwas bewirkte, dann höchstens, dass er noch mächtiger wurde. Und bösartiger. Wie ein Insekt, das vom flackernden Licht angezogen und davon gleichzeitig bis zur Weißglut gereizt wird.
    Alle Türen in diesem Flügel des Schlosses waren verschlossen. Das Messer fest in der zitternden Hand, lief Edeltraud zur anderen Seite hinüber, um dort ihr Glück zu versuchen. Als sie die Halle passierte und in das unruhige Halbdunkel des rechten Korridors eintauchte, gab es einen gleißend hellen Blitz, unter dem sie zusammenfuhr, einen Schrei ausstieß und die Augenlider fest zusammenpresste. Gleichzeitig knallte es, und kurz darauf wehte ihr ein beißender Gestank in die Nase. Schwefel.
    Sie kannte diesen Geruch (und das Geräusch) von einer Fotoaufnahme,
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