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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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Zimmer, und die
Atmosphäre, die sie ausstrahlten, hätte vielleicht einer verarmten Witwe
entsprochen, nicht mir. Jedes einzelne Stück, das die Großfamilie besaß, schien
uns allen überaus kostbar; und irgendwann leuchtete es auch mir ein, daß ich
mich von bestimmten Dingen nie im Leben würde trennen dürfen. Mit einigen
besonderen, besonders gut riechenden Möbelstücken freundete ich mich mit der
Zeit trotz allem an. Manche davon waren mir zeitweise näher als meine Mutter.
    In unserem
Teil der Wohnung änderte sich jahrzehntelang nur wenig; und wenn, dann geschah
es zu seinem Nachteil. Meistens bekamen wir nach einer Wohnungsauflösung - auch
als Erinnerung an den Toten, den wir persönlich gekannt hatten - irgendein
dunkles, zu unserer Einrichtung nicht passendes Einzelstück geschenkt. Aber
auch neue helle Möbel aus modernen sozialistischen Möbelbetrieben wären für die
Melange in unserer Behausung eine Katastrophe gewesen. Für solche
Neuanschaffungen hatten wir zum Glück nie genug Geld. Tagsüber hielten sich
diejenigen, die sich vertrugen, gern in dem gemütlichen Zimmer meiner
arbeitenden Mutter auf. Mein Zimmer verkam schon sehr früh zu einem reinen
Schlafzimmer, zu einer Kleider-, Wäsche- und Vorratskammer. Vorräte hielten
sich in diesem sonnenfreien Nordzimmer neben dem Treppenhaus sehr gut, weil wir
dort praktisch nie heizten.
    In der
Wohnung gab es nicht nur zu viel Häßliches, das ich vor Außenstehenden
verborgen halten mußte, es gab dort vor allem Dinge, die ausgesprochen häßliche
Fragen aufwerfen konnten. Und man traf dort Frauen, die seltsame Dinge
erzählten - wohlgemerkt mit einem ausländischen Akzent; eine von ihnen machte
dabei sogar grobe grammatikalische Fehler. Außerdem stritten sich diese
Personen untereinander oft auf Deutsch oder Ungarisch. Dank meines
Isolationismus dachte ich in meiner Kindheit eine ganze Weile, die meisten älteren
Frauen mit weißen Haaren würden das Tschechische aus Altersschwäche nicht
beherrschen.
    Nicht alle
diese wunderlichen Menschen, die sich bei uns tagsüber aufhielten, wohnten auch
tatsächlich da. Dummerweise fehlte in der Wohnung auch so etwas wie mein Vater.
Klein und dick, wie er war, war er zwar kein Ausstellungsstück, sein
Auslagerungszustand war aber definitiv und wäre schwer zu bestreiten gewesen.
In Mutters Zimmer befanden sich viele unterschiedliche Polstersessel, es stand
dort aber nie ein Doppelbett. In meinem Zimmer schlief mein Vater auch nicht,
dafür schlief dort meine Hauptgroßmutter Lizzy. Daß in meinem »Kinderzimmer«
zwei Betten standen, war - jetzt schüttelt es mich wieder - im Grunde noch
geheimer als das Getrenntsein meiner Eltern.
    Aus Sehnsucht
nach weiblichen Wesen, die sich kraft ihres Amtes um einen bemühen mußten, ging
ich gern in diejenigen Geschäfte, die von warmblütigen Frauen dominiert wurden.
Abscheulich fand ich dagegen solche, in denen ein unbarmherziges männliches
Kommandoregime eingeführt worden war. Zum Glück gab es solche Läden damals
kaum. Kühlgeschäftige und meist von Männern befehligte Selbstbedienungsläden
tauchten in unserer Nähe erst sehr spät auf. Ich bin sowieso in einer
Entwicklungsphase des Sozialismus groß geworden, in der sich relativ viele
Menschen feuerbeständige Illusionen über ihre gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Perspektiven machen konnten. Deshalb war die Stimmung
vielerorts im Lande zwar nicht die allerbeste, sie war im allgemeinen aber
zufriedenstellend und definitiv um viele Qualitätsgrade besser, als es später
nach dem Einmarsch der Russen der Fall war. In Zeiten meiner Kindheit und
Jugend gab es außerhalb unserer Wohnung also - ich bin bis heute glücklich
darüber - noch wirkliche Inseln des Glücks und des Optimismus. Eine davon war
ein Stoffladen, ein Ort voller gepflegter, duftender Damen und unterschwelliger
Erotik. Und natürlich auch voller überwiegend häßlicher Stoffe, die man in
einem solchen Laden irgendwann auch kaufen mußte, wenn man sich dort länger
aufhalten wollte.
    Von außen
betrachtet ging es mir in der innenarchitektonischen Hölle unserer Wohnung mehr
als prächtig. Ich wurde umgarnt, bewundert und gepriesen. Ich wurde über alles
geliebt. Daher ist es nur logisch, daß mein Leben eine permanente Geschichte
des Verliebtseins geworden ist. Ich konnte mich blitzschnell auch in rein
materielle Dinge wie Elektrokabel verlieben. Aber davon lieber später.
     
    aus
den lagern kamen nach dem krieg eher die damen
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