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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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auch einige Fehler.
Sein Hauptfehler bestand allerdings darin, daß er jahrelang bei den Reparaturen
und Durchsichten seines Trabants geschummelt hatte. Als erstes rutschte er
offenbar vom Bremspedal ab, und als er zum zweiten Mal - vielleicht viel zu
heftig - auf die Bremse trat, versagte diese vollständig. Sein zusätzliches
Pech: Mit dem Motor bremst ein Zweitakter dieses Kalibers auch bei eingelegtem
Gang kaum mit. Vor Schreck versuchte Onkel ONKEL nicht einmal die Handbremse zu
ziehen, sein Herz spielte wahrscheinlich auch längst verrückt.
    Als das
kleine Auto mit dem großen gelben Aufkleber immer schneller wurde, steuerte
mein Onkel den Bach an, um in der Vertiefung des Baches möglichst sanft zum
Stehen zu kommen. Dann sah er wahrscheinlich aus dem Fenster seines
knautschzonenfreien Fahrzeugs und beobachtete, wie die Landschaft an ihm immer
schneller vorbeiglitt. Die Krankenhausschwestern berichteten, Onkel ONKEL habe
mehrmals gemurmelt: »Mittig, mittig. Immer mittig zwischen den Bäumen.« - Gab
es auf der Wiese überhaupt Bäume? fragten sie.
    Die
Badestelle gab es nicht mehr, strenggenommen hatte es sie sowieso nie wirklich gegeben.
Nachdem damals das Zapfenhaus von der Schalung befreit worden war, waren die
genossenschaftlichen Raupenfahrzeuge gekommen, hatten die Beckenvertiefung
ausgehoben und mit dem Aushub den Damm aufgeschüttet. Anschließend war der
Durchlaß zugerammelt worden, und die Badestelle lief voll. Baden konnte ich
darin leider nie. Als ich nach mehreren Wochen wieder ein Wochenende mit den
Cousinen verbringen durfte, war aus dem lehmigen Wiesengrund schlimmster
Schlamm geworden, der außerdem so aufgequollen war, daß die darüber trübende
Wasserschicht für freieSchwimmbewegungen, vor allem der der Beine, überhaupt
nicht reichte. Niemand wollte das Becken freiwillig betreten, das Waten im
tiefsten Morast war anstrengend. Einmal wurde dort wenigstens - ohne mich - eine
wilde Schlammschlacht veranstaltet. Dann kamen Stürme und starke Regenfälle,
der ebenfalls längst aufgeweichte Damm brach durch und wurde hinweggespült. Die
Wiese wurde mit der Zeit wieder eine Wiese. Nur der tief verwurzelte,
zweieinige Mönch blieb wie ein Zwillingsgrab oder Doppelmahnmal stehen - mitten
im Hang, umgeben von einem schmucken Brennesselbeet. Als der tapfere und bis
auf einige Ausnahmen doch lebenstüchtige Onkel auf den Mönch zuraste, war der
vierzigjährige Beton schon etwas bröckelig geworden, für einen Trabanten war er
trotzdem ein ausreichend harter Brocken. Wenn es jemanden interessieren sollte:
Den allerletzten Härtegrad erreicht Beton wesentlich früher - bereits nach
achtundzwanzig Tagen, das heißt nach vier Wochen.
    Der
allerletzte Wunsch des Onkels mußte leider unerfüllt bleiben. Wie ich irgendwo
weit vorn erwähnt habe, wollte Onkel ONKEL seine Leiche - in erster Linie aus
Kostengründen - der Universitätsklinik überlassen. Also »der Wissenschaft und
Forschung zur Verfügung stellen«, wie er immer wieder betonte. Weil er aber
bereits obduziert worden war, nahm ihn die Uni-Klinik nicht an. Zwar habe ich -
ebenfalls weit vorn, an derselben Stelle dieses Textes - versprochen, Onkels
grabplattenloses Verschwinden nicht zu entweihen, seinen wahren Namen also
nicht zu verraten. Ich möchte hier aber wenigstens seinen Spitznamen aus der
Jugendzeit preisgeben. Die wenigen von mir festgehaltenen ERINNERUNGSRÜCKSTÄNDE
haben, denke ich, ein Recht auf eine namentliche Zuordnung. Onkels Spitzname lautete
KREN. In der Schulzeit nannte man meinen Onkel also kurz und bündig KREN, was
im Tschechischen Meerrettich bedeutet. Über das Entstehungsgeheimnis dieses
ungewöhnlichen Namens ist leider nichts bekannt, nicht einmal Onkel ONKELS Frau
Eva wußte Bescheid. Einige Jahre nach Onkels Tod besuchten meine Frau und ich
unsere alte Prager Gegend. Auch hier waren die meisten Immobilien inzwischen -
von den alten Eigentümern oder neuen Besitzern - rekonstruiert worden. Oft
waren sie nicht wiederzuerkennen, bei einigen von ihnen handelt es sich um
architektonische Jugendstilwunder. Mein altes Haus schien so gut wie entmietet
zu sein, ein Total-Umbau war voll im Gange. Die Eingangstür stand weit offen,
wir gingen hinein. Irgendein rabiater Handwerker hatte eine Briefkastenreihe
beschädigt, sie hing etwas lose und neigte sich nach vorn. Vor langer Zeit
hatte sich hinter dem Kasten ganz links der tote Briefkasten meiner Kellertante
Peprl befunden. Sie hatte dort ihre Einkaufswünsche deponiert
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