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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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nicht zu klopfen.
    - Bei euch
war es immer sehr lebendig, hatte ich jedenfalls den Eindruck - bei uns dagegen
furchtbar still.
    - Wegen
der Helligkeit und der großen Fenster kann man unsere Zimmer bestimmt besser
einsehen - es ist die Südseite. Aber in die Kellerfenster von Tante Peprl auf
der Nordseite konntest du nie geguckt haben, jetzt ist sie schon lange tot.
    - Habt ihr
die Frau etwa in den Keller abgeschoben?
    - Ins
Souterrain, Souterrain heißt es eigentlich.
    - War es
bei euch nun lebendig oder nicht?
    - Es war
sehr unruhig, dauernd war viel los - bin deswegen leicht störbar. Ganz normal
bin ich vielleicht auch nicht.
    - Du
übertreibst, oder? Ich kenne dich lange genug - und das würde ich dir ansehen.
Ich bin von Hause aus Märchenforscherin.
    - Was für
eine Art Forscherin?
    - Bin
Märchenforscherin, nebenbei noch eine Hexe, wenn du so fragst. Ganz schön dünn
bist du. Trotzdem bin ich ein realistischer Mensch. Ich möchte gern wissen,
wieso du noch bei deiner Mutter wohnst.
    - Stimmt
so nicht. Ich wohnte aber lange in einem Zimmer mit meiner Großmutter Lizzy -
auf der anderen Seite zum Park.
    - He?-
Naja. Die Wohnung ist groß, so viele Zimmer sind es aber doch wieder nicht.
Großmutter Lizzy ist aber der liebste Mensch, den man sich vorstellen kann. Und
du hast dagegen nur Väter.
    - Eine
Frau hätte es bei uns nicht ausgehalten.
    - Was
heißt das?
    - Das
bedeutet, daß ich einen doppelten Vaterkomplex habe, zweifachen Nelson an der
Seele, genau gesagt.
    - Auch
nicht schlecht. Zwei Dinge müßtest du noch wissen: Ich bin von Hause aus
Müllmann. Und das, was ich schreibe, sieht ziemlich seltsam aus, auch optisch.
Viele behaupten, es sei eher Hackfleisch als Literatur.
    - Das kann
trotzdem was werden, oder? Außerdem könnten wir aufs Land ziehen, ich habe
gerade ein Bauernhaus geerbt.
    - Das
trifft sich gut. Ich müßte hier nämlich sofort weg, sagte ich.
    - Ich kann
das Haus jetzt schon nutzen, teilweise jedenfalls.
    - Ist das
nicht Anmache, was hier jetzt abläuft?
    - Du hast
mich vorhin unverschämt angeglotzt, als ich aus der Tür kam. Das hätte ich mich
wieder nicht getraut.
    - Ich bin
von Geburt an optischer Penetrator.
    - Ich habe
manchmal gedacht, wenn ich dich von weitem sah: Der sollte mir nicht entgehen.
Ich kenne sogar deine Telefonnummer: 32 52 09.
    - Was
bedeutet das genau, daß du das Bauernhaus »schon nutzen« kannst?
    - Jemand
wohnt dort noch, eine alte Frau.
    - Eine
oder gleich mehrere?
    - Eine
echte Wiesen-, Wald- und Kräuterhexe. Man braucht da draußen dafür keinen Arzt.
    - Ich muß
möglichst weit weg von hier, sonst würde jeden Tag jemand zu Besuch kommen
wollen. Oder einfach vor der Tür stehen.- Es ist weit genug. Und dort draußen
kann man unglaublich billig leben. Was ist mit deiner Mutter, Georg?
    - Die lebt
jetzt auch auf dem Land. Trotzdem ist es bei uns furchtbar eng, meine
Großmutter und ich kochen zum Beispiel in unserem Badezimmer.
    - Für mich
ist es total wichtig, daß man sich in so einem Haus ebenerdig bewegen kann. Im
Grunde wohnt man auf der gleichen Etage wie die Natur. Im Winter könnten wir
uns einen Pott Honig neben das Bett stellen und es uns gutgehen lassen.
Selbstgemachten Obstwein trinken.
    - Wie
kommst du auf HONIG?
    - Das
kommt in einem witzigen Märchen vor. Wir werden uns aber keinen Fernseher anschaffen,
nicht wahr.
    - Hattest
du schon Honig in den Haaren?
    - Nein,
hab aber keine Angst davor, wie in dem Lied von Suchy. Sollen sie kommen, die
Ameisen.
    - Mach mal
deine Augen richtig auf, sagte ich zu ihr. Kannst du das überhaupt? Du hast so
gut wie Schlitzaugen.
    - Meine
Großmutter war Putzfrau auf der chinesischen Botschaft. - DAS GIBT ES NICHT!!!
    - Stimmt
auch nicht. Du weißt doch, wie alle tschechischen Märchen beginnen: »Es war
einmal, war aber auch nicht.« Meine Vorväter stammten sicher von irgendwelchen
mongolischen Horden ab, nehme ich jedenfalls an. Oder von den tapferen Tataren.
    - Das ist
ja traumhaft. Ich komme dagegen von einem Nomadenvolk aus der Wüste.
    - Das weiß
ich.
    - Kanntest
du die chinesische Revolutionärin Nie Yuanzi? fragte ich noch.
    - Nein.
Nie gehört.
    Wir
machten eine Pause und sahen uns in die Augen. Ich grübelte darüber, wie gut
man sich mit Märchenforschung ernähren kann.- Ich muß dich noch etwas fragen,
sagte sie. Zwei wichtige Dinge.
    - Bitte.
    - Warst du
schon bei der Armee?
    - Bin
ausgemustert, bin ein einbeiniger Fußkrüppel, wie du siehst. Ich muß dich aber
auch etwas fragen.
    -
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