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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Autoren: Niklas Maak
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er gegen zehn Uhr eintraf, keine einzige Flasche Bier mehr gegeben habe, nur seltsame, im Dorf nie gesehene Mischgetränke, die von einem eigens bestellten Barkeeper in der Küche angerichtet und auf Silbertabletts serviert wurden. Die letzten Gäste gingen gegen fünf Uhr morgens. Bellmann begann danach, die Verwüstungen der Nacht zu beseitigen, Ingrid war losgefahren, frische Brötchen zu holen, so machten sie es immer nach ihren Festen: ein Frühstück am Ende der Nacht. Erst dann gingen sie ins Bett, während seine Mutter, die schon munter war, im Wohnzimmer die Trümmer und den Müll aufsammelte.
     
    Sie feierten, so oft es ging. An warmen Sommerabenden hörte man die Musik, die aus hohen Boxen in den Garten drang, noch weit unten im Dorf, bis tief in die Nacht rollten Limousinen auf die Wiese neben ihrem Haus, und manchmal tauchte auch die Polizei auf. Die letzten Gäste verschwanden erst gegen Morgen, wenn die Bauern schon mit ihren Traktoren aufs Feld fuhren, und mehr als einmal wären die barfüßigen Frauen und die torkelnden Männer, die frühmorgens mit ihren Wagen Bellmanns Auffahrt verließen, fast mit einem Mähdrescher zusammengestoßen. Manchmal gaben die Bellmanns den Kindern der Bauern Geld, um ihnen beim Vorbereiten oder beim Aufräumen zu helfen, und die Jungen berichteten Ungeheuerliches: von Menschen, die früh am Morgen im Anzug in den Pool gesprungen waren; von schimmernden, engen Kleidern; von Zigarrenqualm, der so dicht im Wohnzimmer stand, dass man denken musste, es brenne dort; von Schalentieren, die lebend aus ihrem Panzer geschlürft wurden; von Nackten, Kreischenden, die sich ins Gras warfen, und einem Betrunkenen, der die gläserne Schiebetür des Wohnzimmers nicht gesehen und sich eine Gehirnerschütterung geholt hatte. Einmal raste ein Gast mit seinem Auto mitten durch die Hecke in den Garten; Bellmann ließ das Loch zupflanzen, aber die neue Hecke hatte hellere Blätter; im Sommer erinnerte ein giftgrüner Fleck an den Unfall.
    Sie feierten zehn Jahre lang, als wäre jedes Fest das letzte ihres Lebens, und als nach zehn Jahren die Welt immer noch nicht in die Luft geflogen war, begann der Frieden sie ratlos zu machen.
    Die Feste wurden seltener. Das Aluminium der Fensterrahmen lief an, der Lack blätterte von der hölzernen Pergola, und der Stoff der Sommermöbel begann auszubleichen. Ingrid richtete sich zu Hause ein Büro ein und übersetzte Betriebsanleitungen für große Firmen, trieb auf der Luftmatratze durch den Pool und las Biographien bedeutender Personen. Wenn er spät heimkam, lagen ein aufgeweichter Napoleon und eine zerknickte Marie Curie am Beckenrand, und sie kamen ihm vor wie ein stummer Vorwurf.
    Sie ließ sich ihre Haare kurz schneiden und verschwand für ganze Tage. Beim Bäcker begannen die Nachbarn zu reden. Die Frau des Doktors, raunten sie einander mit dem Schauer der Davongekommenen zu, habe eine Affäre mit demamerikanischen Arzt, der sie so oft besuche.
    Bellmann verbrachte seine Zeit im Krankenhaus, in Schallplattenläden oder im Bunker. Jeden Morgen fuhr er um halb sieben rückwärts aus der Garage, rollte an der verglasten Fassade entlang und gab Gas, und am Seitenfenster rasten die Fensterrahmen des Hauses vorbei wie die Bilder eines Films, den man zurückspult: das Wohnzimmer, das Zimmer der Mutter mit den Rüschengardinen, das Zimmer seiner Frau, dann der lange, grüne Abspann der Buchenhecke.
    Um kurz vor sieben fuhr er auf den für ihn reservierten Parkplatz vor der Klinik und nahm den Aufzug in den vierten Stock. Derscharfe Geruch von Desinfektion und Reinigungsmitteln, das mattglänzende, grüngraue Linoleum, das Brummen und Flackern der Neonröhren, sein eigenes mattes Spiegelbild, das sich in den nachtblinden Fensterscheiben spiegelte – dann das scheppernde Transistorradio in der Teeküche, das röchelnde Geräusch der Thermoskanne, der Kaffee, den die Oberschwester immer um fünf Uhr kochte, die Frühbesprechung, der OP-Plan: So begannen seine Tage. Am Vormittag operierte er, analysierte mit seinen Studenten die Röntgenbilder offener Frakturen und telefonierte mit der Anästhesie. Nachmittags folgten die Visiten unddie Notfälle, bei denen er aushalf. Er war lange in der Unfallchirurgie, später spezialisierte er sich auf plastische Chirurgie. Er hatte, erzählt er, einige Zeit bei dem berühmten Mediziner Alfred Rehrmann in Düsseldorf verbracht und nach einer zusätzlichen anästhesiologischen Ausbildung erst in einer Abteilung für
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