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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition)
Autoren: Daniel Kehlmann
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hypnotisieren.»
    «Nein», sagte der Wahrsager. «Das geht dann nicht mehr.»
    «Aber das Kartenlegen läuft gut?»
    «Zu hohe Standmiete. Alles Verbrecher. Zu wenig Kunden. Ich habe mal Säle gefüllt.»
    «Die größten», sagte Arthur.
    «Bitte?»
    «Machen Sie weiter!»
    Der Wahrsager senkte den Kopf, seine Nasenspitze hing einen Zentimeter über den Karten. Er zog eine davon in die Mitte. Auf ihr sah man eine Festung und einen Blitz, und da waren Figuren, erstarrt in wilden Verrenkungen.
    «Der Turm», sagte Arthur.
    «Bitte?»
    «Ist das der Turm?»
    Der Wahrsager nickte. «Der Turm. In Verbindung mit der auf dem Kopf stehenden Fünf der Schwerter. Dazu der Mond. Das kann bedeuten –»
    «Aber das ist er nicht!», rief Arthur. «Das ist ja gar nicht der Turm.»
    «Was ist es denn?», fragte der Wahrsager.
    «Sie sehen nichts», sagte Arthur. «Stimmt’s? Sie hören nichts, und Sie sehen nichts mehr.»
    Der Wahrsager starrte auf den Tisch. Langsam legte er die Lupe weg.
    Arthur zeigte auf den Ausgang.
    Marie nickte.
    «Auf Wiedersehen!», rief Arthur.
    Der Wahrsager schwieg. Sie gingen hinaus.
    «Aber du hast ihn trotzdem bezahlt», sagte Marie.
    «Er hat sein Bestes gegeben!»
    «Was hieß das? Der Turm, die Fünf der Schwerter, und war das jetzt wirklich der Mond oder doch die Sonne? Was hatte das zu bedeuten?»
    «Dass er nichts lesen konnte.»
    «Aber meine Zukunft!»
    «Such sie dir aus. Such dir aus, welche du haben willst.»
    Sie fragte sich, warum Arthur so erleichtert war. Sie wäre gern noch mit der Geisterbahn gefahren, aber er schien es jetzt eilig zu haben. Sie gingen zum Parkplatz, leise summte er vor sich hin. Noch immer lächelnd, schloss er das Auto auf.
    «Ich habe ein Haus», sagte er beim Losfahren. «Es liegt an einem kleinen See, und weit und breit ist kein anderes Haus. Dort kann ich den ganzen Tag arbeiten. Es regnet viel. Ich dachte, die Natur tut mir gut, aber da wusste ich noch nicht, dass es in der Natur meistens regnet. Manchmal reise ich irgendwohin, dann komme ich wieder zurück. Meine Arbeit war lange Zeit besser als mittelmäßig, dann war sie es nicht mehr, und jetzt lese ich nur noch die Bücher anderer Leute. Bücher, die so gut sind, dass ich sie nicht hätte schreiben können. Du hast gefragt, was ich mache – das mache ich.»
    «So hast du die ganze Zeit verbracht?»
    «Sie ist schnell vergangen.»
    «Wohin jetzt?»
    Arthur antwortete nicht. Eine Zeitlang fuhren sie, ohne zu sprechen. Dann bremste er und parkte ein.
    Marie sah sich um. Hier war sie schon gewesen, vor gar nicht langer Zeit mit ihrer Klasse. Jeder Schulausflug war langweilig, aber das war mit großem Abstand der schlimmste gewesen.
    «Gehen wir ins Museum?»
    «Ja.»
    Marie seufzte.
    Sie stiegen aus und gingen eine Marmortreppe hinauf und durch einen langen Korridor.
    «Ich muss bald heim», sagte sie. «Aufgaben machen.»
    «Hast du viel Hausaufgaben?»
    Sie nickte. Es war Samstag, und zum Glück bekamen sie nie Aufgaben übers Wochenende. «Sehr viel.»
    Was denn jetzt mit Matthias Geburtstags Party??? , schrieb Lena.
    Ja ja ja später , antwortete Marie.
    Ein Bild hing neben dem anderen, einige zeigten bloß Linien, auf anderen waren verschmierte Flächen zu sehen, auf wiederum anderen erkannte man etwas: Landschaften, Gebäude, Gesichter. Es gab Wirbel, Strudel, Ströme, Explosionen von Farbe. Jemanden, den so etwas interessierte, dachte sie, hätte das bestimmt interessiert. Aber so jemand war sie nicht.
    «Ich muss wirklich nach Hause.»
    Arthur blieb vor einem Bild stehen. «Schau es an.»
    Sie nickte. Es hatte einen goldenen Rahmen, und es zeigte das Meer. Es gab auch ein Schiff.
    «Nein», sagte Arthur. «Schau es an.»
    Das Meer war so blau, wie Meer es eben war, unter wolkenlosem Himmel und einer großen Sonne. Dem Schiff folgte ein Möwenschwarm.
    «Nein», sagte Arthur. «Schau wirklich!»
    Tatsächlich war das Meer nicht ganz blau. Es gab Schaum auf den Wellen, und das Wasser hatte dunkle und hellere Bereiche. Auch der Himmel hatte viele Farben. Am Horizont gab es eine Zone dunstigen Übergangs, und um die Sonne verschwamm alles in dick aufgetragenem Weiß. Wenn man es ansah, fühlte man sich geblendet. Dabei war es bloß Farbe.
    «Ja», sagte Arthur. «So.»
    Das Schiff hatte einen langen Kiel, fünf Schornsteine und blitzende Bullaugen. Bänder mit Fähnchen flatterten im Wind, auf den Decks tummelten sich Menschen, und am Heck thronte ein Anker auf einem Gestell. Vorne, am Bug, stand eine
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