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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition)
Autoren: Daniel Kehlmann
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Skulptur: eine jener übergroßen gekrümmten Uhren, wie Marie sie in der Schule auf Dias gesehen hatte, ein sehr berühmter Künstler hatte sie gemacht, aber sein Name fiel ihr nicht ein. Sie sah auf das kleine Schild an der Wand: Meerfahrt mit teurer Plastik, H. Eulenböck, 1989 .
    Sie trat noch näher heran, und sofort hatte sich alles aufgelöst. Da waren keine Menschen mehr, auch keine Fähnchen, kein Anker und keine schiefe Uhr. Es gab nur ein paar bunte Flecken oberhalb des Schiffsdecks. An mehreren Orten schimmerte das Weiß der Leinwand durch, und auch das Schiff war bloß eine Ansammlung von Strichen und Tupfen. Wo war alles hin?
    Sie trat zurück, und es setzte sich wieder zusammen: das Schiff, die Bullaugen, die Menschen, obwohl sie gerade gesehen hatte, dass nichts davon da war. Sie trat noch einen Schritt zurück, und jetzt schien es, als ob das Bild etwas zu ihr sagte, das mit dem, was es zeigte, nichts zu tun hatte. Eine Botschaft, die eher in der Helligkeit lag, in der Weite des Wassers oder darin, wie das Schiff in die Ferne zog.
    «Fatum», sagte Arthur. «Das große F. Aber der Zufall ist mächtig, und plötzlich bekommt man ein Schicksal, das nie für einen bestimmt war. Irgendein Zufallsschicksal. So etwas passiert schnell. Aber malen konnte er. Denk daran, und vergiss es nicht. Malen konnte er.»
    «Wer?»
    «Iwan.»
    «Aber das ist nicht von Iwan.»
    Arthur sah sie aufmerksam an. Sie wartete, doch er schwieg.
    «Können wir jetzt gehen?», fragte sie.
    «Ja», sagte er. «Jetzt bringe ich dich heim.»

3
    Als Marie und Matthias zum Pfarrhaus kamen, stritten sich Eric und Martin wieder einmal. Daran war nichts Ungewöhnliches, das war fast immer so.
    «Gut, dass ich ausziehe!», rief Eric.
    «Ich halte dich nicht auf. Ich brauche hier keine Fanatiker. Wie kann man nur behaupten –»
    «Dass Gott Wunder tut?»
    «Gott tut keine Wunder! Sobald man mit Wundern anfängt, kann man nicht mehr erklären, wieso er meistens keine tut. Wenn er dich rettet, warum rettet er die anderen nicht? Weil du wichtiger bist?»
    «Vielleicht.»
    «Das meinst du nicht im Ernst, oder? Du meinst, er hat eine Wirtschaftskrise geschickt, um dich vor deinen Problemen zu retten? Du sagst das nicht nur, du meinst das?»
    «Warum nicht? Warum sollte sie nicht gekommen sein, um mich zu retten, warum denn nicht?»
    «Weil du nicht so wichtig bist!»
    «Offenbar bin ich es. Sonst wäre nicht meinetwegen –»
    «Das ist ein Zirkelschluss!»
    «Ihr sagt doch immer, seine Wege sind unerforschlich. Ihr erklärt uns doch dauernd, dass man nicht voraussagen kann, wie er das Schicksal steuern wird.»
    «Und Iwan? Ist der verschwunden, damit du seine Bilder nehmen und so deine Zinsen bezahlen kannst?»
    «So etwas darfst du nicht sagen!»
    «Das hast du gesagt.»
    «Das habe ich nie gesagt!»
    «Es folgt implizit aus dem, was du –»
    «Wir waren Zwillinge. Das verstehst du nicht. Ich bin nicht nur ich, und er ist … war nicht nur er. In gewisser Weise waren wir immer eine Person. Das ist schwer zu erklären.»
    «Jeden Tag!», sagte Martin zu Marie. Der Messdiener hielt ihm das weiße Hemd hin, keuchend schlüpfte er in die Ärmel. «Jeden Tag erklärt er mir, dass Gott über die Welt wacht und besonders über ihn. Jeden Tag!»
    «Er wollte mich nicht taufen!», rief Eric. «Ich musste mich an eine andere Pfarre wenden! Mein eigener Bruder wollte mich nicht taufen!»
    «Jeden Tag steht er in diesem karierten Hemd vor mir und sagt, dass Gott eine Finanzkrise geschickt hat, um ihn zu retten.»
    «Spiel doch mit deinem Würfel, lass mich in Ruhe.»
    «Der Würfel ist kein Spiel.»
    «Nein, es ist seriöser, schwerer Sport!»
    «Spar dir diesen Ton! Ich bin jetzt wieder auf Platz zweiundzwanzig.»
    «Auf welcher Rangliste denn?», fragte Marie. Sie wusste die Antwort, aber sie wusste auch, wie gern Martin es wiederholte.
    «Der nationalen!»
    Der Messdiener legte ihm die Stola um die Schultern. Er war ein unscheinbarer junger Mann, mit dem sie sich in der Woche zuvor kurz unterhalten hatte. Es war nicht leicht gewesen, weil er zunächst so schüchtern gewesen war, aber als sie ihn zweimal angelächelt hatte, hatte er sie gleich gebeten, mit ihm auszugehen. Sie hatte versucht, so liebenswürdig wie möglich nein zu sagen, aber es hatte ihn doch getroffen, und seither mied er sie. Martin hatte ihn bei der Katholischen Jugend kennengelernt. Auf der rechten Seite der Nase zeigte ein Loch, wo vor kurzem ein Ring entfernt worden war, und er
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