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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben
Autoren: Constantin Gillies
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könnte genauso gut die Steuerung für eine Cruise Missile sein. Die Nachricht beginnt mit einer Zeile, in der alles großgeschrieben ist: PROJECT: PIPE DREAM - MISSION BRIEF Gerade als ich sie antippen will, erreichen wir die Passage auf der Flughafenautobahn, wo das Tempolimit aufgehoben ist. Mit unbewegter Mine tritt mein Chauffeur das Gaspedal voll durch, und obwohl wir schon 120 fahren, fühlt es sich an, als würde der Wagen noch mal aus dem Stand starten. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die orange glimmende Tachonadel die 240er -Marke passiert. Mit 210 gibt sich der hier nicht zufrieden, haha. Bevor ich mit der nächsten Pflichtlektüre beginne, fahre ich das Beifahrerfenster ein Stück runter und lasse mir noch mal kurz die laue Nachtluft um die Nase wehen. Es riecht nach Grillkohle, Becks und Benzin - nach einem dieser Abende, an denen selbst Nick und ich unsere Geekgrotten verlassen und uns darüber freuen, im T-Shirt auf dem Balkon sitzen zu können. Wir würden darüber reden, welche Filme wir schauen, wenn das Wetter wieder schlecht genug ist, um mit gutem Gewissen drinnen zu bleiben. Nick würde mit einer Info zur neuesten Tralala-Demo und dem soundso Emu aufwarten oder darüber philosophieren, mit welchem selbst gelöteten Kabel er seine 1541-Floppy an die allerneueste Rechnergeneration ranstöpseln kann; eine Wiederholung der Rods from God -Geschichte wäre natürlich auch möglich. Mir fiele mit Mühe und Not noch eine alte Arcade-Legende ein, zum Beispiel die von dem geheimen Schloss in Battlezone . Also: Wenn du mit deinem Panzer einfach immer weiterfährst, erreichst du irgendwann den großen Vulkan, den alle Welt eigentlich nur für eine Hintergrund-Deko hält. Und weißt da was: In dem Krater drin gibt es eine Burg, in der man wiederum herumkutschieren kann! Stimmt natürlich alles nicht, genauso wenig wie die Rads from God , aber spielt das im Ernst eine Rolle? Am Ende säßen wir einfach so da und würden auf den ersten Herbstwind warten. Es wäre ein verdammt schöner Abend. Vielleicht stimmt es, dass wir all die Jahre nur ununterbrochen auf die ganz große Escape-Taste gedrückt haben, aber keiner von uns würde jemals behaupten, dass es keine schöne Zeit war. Zum ersten Mal seit Grönland kommt mir der Gedanke, dass dieses Leben jetzt tatsächlich vorbei sein könnte. Habe ich die Tür zum Dorint vielleicht das letzte Mal zugezogen? Ist das der neue Alltag - in unauffälligen Limousinen durch die Nacht rasen, diskrete Memos überfliegen, altersdemente Rechner am Ende der Welt fixen? Die Dinge haben schon begonnen, sich zu verändern; am Schluss muss der Geschirrspüler eben doch auf den Schrott. Nur diesmal konnte ich vorher keinen Knopf abschrauben. Verdammt - wir sind in knapp zehn Minuten am Flughafen, dann wird das Chaos ausbrechen. Also zurück zum schwarzen Tablett und familiarizen, und zwar mit Vollgas. Schnell, schnell, die grünen Textblöcke nach den Schlüsselinfos scannen - oberflächlich Infos verdauen, endlich mal eine meiner Stärken. Operatives (UK/EU): undisclosed Add'tl O.: German Consultants, N.N. Weitere grüne Flächen rauschen vorbei, jede Zeile mit 40 Zeichen, genau wie beim Commodore PET. Target System: Robotron EC2640 Alles klar, keine Panik, ich bin ein Stückchen vom Haken. Der Robotron ist nichts anderes als der Nachbau eines IBM-Rechners aus der berühmten Bindestrichserie. wahrscheinlich eines /360, von denen habe ich zumindest schon was gehört. In den Sechzigern und Siebzigern konnte der Ostblock wegen irgendwelcher Embargos keine Computerausrüstung im Westen kaufen, und die DDR baute deshalb das damalige Spitzenmodell des kapitalistischen Erzfeindes einfach nach. Die Dokumente zum /360 habe ich mir kurz nach der Rückkehr aus Grönland durchgelesen - als ich noch wissbegierig war und jede Sekunde damit rechnete, in den Einsatz zu müssen. Da dürfte es keine Probleme geben mit dem Nachbau von drüben; zumal ich wahrscheinlich nur dabei bin, um ein paar deutsche Worte aus der Bedienungsanleitung zu übersetzen. Ich lehne mich zurück und scanne den Rest des Dossiers. Location: undisclosed, Airport: Bykovo (BKA) Klingt russisch. In den folgenden Textblöcken steht irgendwas davon, dass der Auftraggeber ein staatlicher Gasriese ist, der Probleme mit seinem Legacy-System vom kleinen sozialistischen Bruder hat. Was für Zicken der Mainframe genau macht, erklären sie nicht, überhaupt wimmelt das Dossier nur so vor vagen Angaben und Geheimhaltungsformeln wie
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