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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben
Autoren: Constantin Gillies
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»data suppressed due to confidentiality«. Vielleicht haben sie mir wie üblich auch nur die Damenkarte gegeben, damit ich keinen Unsinn mit den Infos anstellen kann. Aus der Dunkelheit taucht die letzte Raststätte vor dem Flughafen auf, und mein Chauffeur steigt so heftig in die Eisen, als ob er weiß, dass da sonst immer der Radarwagen steht. Respekt, er hat sich gut vorbereitet. Um die Uhrzeit ist natürlich keine Kontrolle, und sobald das Tempolimit aufgehoben ist, geht es mit 280 Sachen weiter. Die paar anderen Autos auf der rechten Spur wirken bei dem Tempo, als hätten sie da geparkt. Sachen, was für ein herrliches Wort. Auf dem Schulhof hätten wir selbstverständlich »Stukis« gesagt, für »Stundenkilometer«. Mit einem normalen Taxi sind es ab hier noch zehn Minuten, aber bei dem Tempo brauchen wir wahrscheinlich nur halb so lange. Ich bilde mir ein, schon den Kerosinduft in der Luft riechen zu können. Dürfen um diese Zeit überhaupt Maschinen starten? Nervös trommele ich auf dem grünen Pfeil rum, der den Text runterscrollt, schließlich muss ich wenigstens so tun, als ob ich ihn bis zu Ende gelesen habe. Irgendwann rasen die Zeilen so schnell vorbei, dass sich kaum noch ein Wort entziffern lässt. Die grünen Buchstabenkolonnen wollen kein Ende nehmen, und ich beschließe aufzugeben. Gerade als ich den Rechner in die Tasche stecken will, fällt mein Blick auf die letzte Zeile: Caution: Project may involve software obtained by Line Xpersonell. Shit, deshalb also die Eile. Von wegen EDV-Lustreise mit Retroflair. Line X, das heißt, der ganze Kram kann uns jede Sekunde um die Ohren fliegen. Nick hatte mir die Story schon ein paar Mal erzählt, aber weil das Ganze nach seinem üblichen Geheimgemunkel klang, hatte ich nicht genau hingehört. Hätte ich wohl besser, denn ausnahmsweise scheint an dieser urbanen Legende wohl was dran zu sein. Wie ging die noch mal? Also, der Kalte Krieg tobt, und die Russen merken, dass der Feind in Sachen EDV an ihnen vorbeizieht. Deshalb gibt der Kreml die Weisung aus, einfach Know-how beim Klassenfeind zu stehlen. Zunächst nimmt der Westen die Sache nicht ernst, obwohl er die Russen manchmal sogar beim Klauen erwischt: Einmal zum Beispiel fliegt ein Ost-Agent auf, weil er sich vor einer Führung durch die Boeing-Werke seine Schuhsohle mit Kleber einschmiert, um so Metallproben aufzusammeln. Anfang der Achtzigerjahre wird die Lage dann ernst: Ein russischer Überläufer spielt dem amerikanischen Geheimdienst Dokumente zu, die beweisen, dass diese Raubzüge im großen Stil ablaufen und systematisch organisiert werden - von einer Spezialsektion des KGB, die den Codenamen Line X erhält. Als Präsident Reagan davon hört, ist er außer sich vor Wut und beschließt, mit einem kühnen Plan zurückzuschlagen: Er weist die CIA an, ab sofort die Kolonnen der Line X beim Shopping gezielt zu unterstützen, und zwar mit sabotierten Produkten. Damit die Russen den Braten nicht riechen, lässt man zunächst die Technologie nur tröpfchenweise raus, später werden die Köder fetter. Erfreut greifen die Russen zu - und holen sich Tod und Verderben ins Haus. In einem besonders spektakulären Fall kauft die Line X Software ein, um damit Erdgasanlagen in der russischen Heimat zu steuern. Was die Kommunisten nicht ahnen, ist, dass die Amerikaner auch hier ein Gratis-Feature eingebaut haben - Bugs. Das Programm ist mit Fehlern gespickt, die Ventile und Rohrleitungen der Anlagen mit einem Druck belasten, dem sie nicht standhalten können. Im Sommer 1982 schlägt der Bug zu: Von der frisierten Software überlastet, explodiert eine Erdgasleitung in Sibirien und reißt einen Krater mit mehreren hundert Metern Durchmesser in die Tundra. Die Detonation ist so heftig, dass amerikanische Horchposten rund um die Welt sogar kurzzeitig glauben, die Russen hätten eine neue Atombombe getestet. Und zu so einer Anlage fliegen wir jetzt, oder zumindest schließt die Datacorp nicht aus, dass Teile der Anlage von den nichts ahnenden Agenten der Line X eingekauft wurden. Wir tappen in eine Falle, die die CIA vor einem Vierteljahrhundert gestellt hat. Wunderbar. Eigentlich könnte der Kollege am Steuer doch etwas langsamer fahren. Aber zum Umkehren ist es längst zu spät, wir sind schon von der Autobahn runter, und in der Ferne tauchen die Werbewände der ehemaligen Telefongiganten auf. Nach der kleinen Überraschung habe ich mir überlegt, noch ein paar Zeilen des Briefings zu inhalieren, aber der Text
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