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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Autoren: Thor Heyerdahl
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wo wir im vorigen Jahr die Ra I nach den letzten dramatischen vierundzwanzig Stunden verlassen hatten. Jedem von uns schauderte, als Rufe von der Brücke uns auf einen rasenden Hai aufmerksam machten, der mit gereizten Bissen versuchte, die rote Schwimmweste zu zerstören, die wir für den Fall im Schlepp zogen, daß ein Mann über Bord ging. Eben hier waren wir im letzten Jahr auf die vielen Haie gestoßen. Aber der einsame Herumstreicher dieses Jahres gab die rote Weste bald auf und verschwand nach Norden. Der Hai schien an einem Fahrzeug, das nicht wie die Ra II unter Wasser repariert werden mußte, uninteressiert.
    Am 26. Juni wurde das Meer wieder wild; die Wellen jagten uns mit weißen Kämmen nach, die wie Schnee eines Pfluges an Lokomotivrädern stoben. Dichte Wolken spieen Regen auf uns herab. Wir ließen das Salz vom Körper abspülen und leckten uns die Arme. Wir hätten Regenwasser sammeln können, aber bei unserem Tempo würden die Rationen ausreichen. Die Ente watschelte auf dem Dach herum und schlürfte aus den Wasserpfützen. Safî wollte in die Hütte. Das Ruder auf Steuerbord verhakte sich in den Bäumen; wir waren darauf gefaßt, daß es brechen würde, aber Kei meißelte es unter Wasser frei. Am nächsten Tag blieb die Taube weg. Sie hatte eine Zeitlang rastlos gewirkt und die Ra ständig in großen Kreisen umflogen, war aber immer wieder zu der Kornschale auf dem Dach heruntergeflattert. Am 27. Juni erhob sie sich und blieb für immer weg. Rings um uns näherte sich die Sintflut ihrem Ende. Die Arche hatte ihre Taube verloren. Nach ihrem Verschwinden wurde es leer. Hatte sie Land gewittert? Die nächste Küste war Französisch-Guayana. Die reiselustige Taube trug jetzt zwei Ringe, einen mit einer spanischen Nummer und einen mit der Markierung »Ra« .
    Am 28. Juni stieg die Wassertemperatur plötzlich um zwei Grad, und danach sahen wir keine Ölklumpen mehr. Waren wir in einen anderen Strömungsteil geraten? Es war merkwürdig, denn als wir die Ra I im vorigen Jahr hier verließen, backsten wir gerade in Ölklumpen; das ganze Meer treibt unaufhörlich im Kreis zwischen den Kontinenten.
    Am 29. Juni fanden wir Safîs festgebundene Kette schlaff in den Wellen hängen. Sie war leer. Chaos an Bord. Safî saß vergnügt in einem Masttau und sah auf uns herunter. Weder Kokosnuß noch Honig lockten sie herunter; aber als Juri ihr Lieblingsspielzeug holte, einen quietschenden grünen, häßlichen Gummifrosch mit riesigen roten Augen, da war Safî wie ein Blitz unten und packte den Frosch, während Juri den Affen packte. Unmittelbar darauf ließ Norman im Inneren der Hütte ein Gebrüll los: Er hatte direkte Verbindung mit einem Funkamateur bekommen, der das UN-Forschungsschiff Calamar begleitete. Es befand sich in unserer Nähe und bat uns, bei Einbruch der Dunkelheit Raketen hochzuschicken, damit es uns zwischen den Wellen im aufgewühlten Ozean finden konnte.
    In dieser Nacht bekamen wir einen unerwarteten Schrecken. Norman weckte mich am 30. Juni um 0.30 Uhr mit gedämpfter Stimme zur Wachablösung, und ich setzte mich im Schlafsack auf und begann, mir die Strümpfe anzuziehen; es war kalt auf der Brücke. Da rief er wieder, diesmal erregt:
    »Komm schnell, schnell! Sieh dort!«
    Ich stürzte aus der Öffnung in der Korbwand, Santiago dicht auf den Fersen, und wir zogen uns auf das Hüttendach hinauf, wo Norman auf etwas deutete.
    Weltuntergangsstimmung. Auf der Backbordseite, im Nordwesten, stieg über den ganzen Horizont eine runde bleiche Scheibe auf, die nie ganz aus dem Wasser kam, aber wie ein gespenstischer, aluminiumfarbener Riesenmond, der halb verborgen vom Küstenrand aufsteigt, immer weiter wuchs. Wie ein kompakter Sternennebel, heller als die Milchstraße und kreisrund, nahm es die Ausmaße eines stiellosen Pilzes an; es schien direkt auf uns zuzukommen, indem es sich ständig weiter über den Himmel ausbreitete. Der Mond stand auf der anderen Seite, es war sternenklar, keine einzige Wolke bedeckte den Himmel. Mein erster Gedanke: Reflex am feuchten Nachthimmel eines mächtigen Scheinwerfers hinter dem Horizont. Mein zweiter Gedanke: ein Atompilz, durch menschliches Versagen verursacht-oder ein Nordlicht-Phänomen. Aber das Gefühl, es sei ein leuchtender Regen von fremden Objekten, die aus dem Universum zu uns gekommen sind, gewann die Oberhand, bis die Lichtscheibe ungefähr dreißig Grad des Himmels bedeckte. Da wuchs sie plötzlich nicht weiter, löste sich beinahe unmerklich auf und
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