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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Autoren: Thor Heyerdahl
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zerreißen. Aber Juri machte verbissen und voller Unternehmungsgeist weiter.
    Die nächste Welle strömte langsam an der Steuerbord-Hüttenwand entlang, drückte bedächtig Juris Segeltuchwand ein wenig ein und stürzte über Bord. Nur wenig Wasser rieselte auf das Vorderdeck, das Tuch hatte den Rest über Bord geleitet. Juri setzte sich triumphierend an den Hühnertisch und lachte. Wir anderen kamen mit großen Augen, unsere Teller in der Hand, von der Mastleiter herunter, als wir sahen, daß sich die nächste Welle ebenso benahm und die dritte auch. Dort saßen wir am Tisch und betrachteten den Zauberer Juri, dem es gelungen war, das Meer aufzuhalten, indem er einen Lappen aufhängte. Das Geheimnis war, daß der Papyrussteert achtern den Wellendruck milderte und die Welle teilte, und der Segeltuchschirm brauchte nur noch das Profil der Wasserwand, das zu beiden Seiten des Bootes entlangstürzte, über Bord zu leiten.
    »Mehr Segeltuch!«
    Mit dem Dolchmesser schnitten wir das ganze Segeltuch ab, das die Vorderwand der Hütte bedeckte; danach blickten wir durch das Korbgeflecht direkt auf den Hühnerkäfig, die Mäste und das Meer. Als nächstes zerschnitten wir das ganze große Reservesegel, Juri hängte die Stücke auf, und bald lebten wir hinter einem wahrhaftigen Wandschirm, burgunderfarben, orange, grün und gelb. Die Wellen fuhren an dem Wandschirm entlang und drückten freundlich dagegen, und die Pardunen bewegten sich im Wind. Nur ein Bruchteil der Wasserkaskaden kam an Bord.
    »Hippies! Zigeuner!« riefen uns Carlo und Georges nach und lachten aus vollem Hals, als sie das nächste Mal das kleine Drei-Mann-Schlauchboot aussetzten, um uns von draußen zu filmen. Wir reckten die Hälse über Juris bunten Wandschirm und hielten nach den beiden Ausschau, die immer wieder völlig hinter den Wellenkämmen verschwanden.
    »Kommt zurück!« brüllte ich. »Seht zu, daß ihr auf ein anständiges Fahrzeug kommt, ehe ihr kentert.«
    Wir hatten schon öfter das kleine Floß bei Windstille und später bei leichtem Seegang aufgeblasen, um zu filmen, aber nun hatten wir uns so sehr an Wellen und Salzwasser gewöhnt, daß einige allmählich recht tollkühn wurden.
    Tage und Wochen rollten mit den Wellen um die Wette. Innerhalb eines guten Jahres hatten wir sechs von der Ra I vier Monate lang zusammen auf den Schilfgarben gesessen. Nach dem Unglückstag mußten wir das Wasser rationieren; ein halber Liter am Tag pro Mann, außerdem neun Liter für unsere Küche. Mehrere Krüge waren zerbrochen, in einigen war der Inhalt mit Salzwasser vermischt. Daß wir damals selbst den Inhalt der meisten Ziegenlederbehälter in die See geschüttet hatten, war ein heikles Thema und wurde am besten nicht berührt. Das war verteufelt vorschnell gewesen. Carlo litt an Salzwasserwunden in der Leistengegend, und Juri verschrieb ihm Waschungen mit Süßwasser, mehrere täglich. Der arme Carlo wusch sich mit dem Inhalt einer Tasse, mehr gestattete er sich nicht. Die Ente, die Taube und der" Affe tranken täglich zusammen soviel wie ein Mann. Georges protestierte kräftig dagegen, daß unschuldige Tiere genauso wie wir auf Ration leben sollten. Santiago war auch nicht hundertprozentig auf der Höhe, vor dem Start hatte man ihm einen Nierenstein entfernt; er durfte weder gesalzenes Essen, Nüsse, getrocknetes Gemüse, Eier noch die meisten Gerichte essen, die normalerweise auf unserem Küchenzettel standen. Er war erschöpft, übernahm seine Arbeit ohne Murren, aber wenn er nichts versäumte, ging es ihm auf dem Rücken in der tiefsten Ecke der Hütte am besten, wo ihn Juri beobachtete.
    Eines Abends kam er mit verdrossenem Gesicht aus der Hüttenöffnung und ließ sich zwischen uns anderen am Hühnerkäfig nieder. Er blickte abwechselnd Carlo und Georges an:
    »Ich habe durch die Hüttenwand schmutzige Anschuldigungen gehört!«
    Carlo wurde wütend: »Hör mit deinem Professorengehabe auf.«
    »Pack lieber etwas mehr zu wie wir«, warf Georges ein. »Wenn du einem müden Rudergänger freiwillig Ablösung versprichst, erscheinst du erst zehn Minuten vor Wachablösung.«
    Die Anschuldigungen kamen ins Rollen. Der schuftende Carlo und der lebensfrohe Georges hatten auf der vorigen Fahrt Verständigungsschwierigkeiten gehabt, jetzt waren sie Busenfreunde; und im Augenblick waren beide wütend auf den schweigsamen Anthropologie-Professor. Er erfuhr nun, daß er in der Ecke lag und uns psychoanalytisch untersuchte, während andere sich abrackerten.
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