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Exit to Eden

Exit to Eden

Titel: Exit to Eden
Autoren: Anne Rice
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Hand. Zum erstenmal an diesem Tag wollte ich allein sein.
    »Es geht alles zu schnell«, sagte ich. »Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«
    Aber das war eine Lüge. Wenn ich allein war, konnte ich nicht denken. Darum hatte ich nach ihm gerufen. Um ihm das zu sagen, nahm ich seine Hand. Ich drückte sie so fest, daß es ihm wahrscheinlich weh tat, aber er zog sie nicht zurück.
    »Weißt du, Lisa, du steckst zwischen dieser schändlichen, repressiven katholischen Moral, aus der du kommst, und der Vision einer Welt, in der die Liebe in keiner Form eine Sünde ist. Du hast zwar ein paar spektakuläre Siege errungen, aber wenn du meinst, du könntest Elliott nicht lieben, dann hast du einen fürchterlich hohen Preis dafür bezahlt.«
    Ich sagte nichts. Lange Zeit blieb ich stumm und versuchte, nicht nachzudenken.
    Die süße, subtropische Nacht war hereingebrochen, und die vereinzelten Lampen unter den zitternden Farnblättern und den schläfrigen Wedeln der Bananenstauden waren angegangen. Der Himmel über uns war tiefschwarz, ohne Sterne.
    Martin hielt noch immer meine Hand; er drückte sie ganz sanft, bevor er sagte: »Ich möchte, daß du etwas für mich tust.«
    »Und was ist das?«
    »Als du mich gerufen hast, bin ich sofort hergekommen. Jetzt mußt du etwas für mich tun.«
    »Du machst mir angst«, sagte ich.
    »Flieg zurück in den Club. Geh hinein, ruf Richard an und sag ihm, daß du zurückkommst; er soll das Flugzeug sofort schicken. Und wenn du dort ankommst, tust du zwei Dinge. Erledige, was zu erledigen ist, damit Mister Cross zufrieden ist. So bleibst du mit dem Club in gutem Einvernehmen. Dann geh zu Elliott. Sag ihm alles. Sag ihm, warum du gezögert hast, warum du dich nicht festlegen konntest, erzähl ihm von deinen ganzen Schwierigkeiten.«
    »Es wäre wirklich wohltuend ... ihm alles zu sagen. Zu erklären.« Ich weinte schon wieder. Wie ein Schloßhund. Schrecklich. Aber ich nickte und bedeckte meine Augen mit der Hand »Ich wünschte, er wäre jetzt hier.«
    »Er ist nicht sehr weit weg. Ich glaube, daß er die Situation verstehen wird, vielleicht sogar besser als du.« Der Druck seiner Hand wurde fester.
    »Aber was passiert, wenn ... wenn es zu spät ist?«
    Der Gedanke war grauenvoll. All die verpaßten Gelegenheiten, jene letzten Momente, all das Ungesagte.
    »Ich glaube nicht, daß es zu spät ist«, sagte er zurückhaltend. »Elliott - ich weiß, er würde mich das wirklich gerne sagen hören - ist ein verdammt zäher junger Mann. Ich glaube, er wartet auf dich. Wahrscheinlich gekränkt. Wahrscheinlich stocksauer. Aber mit absoluter Sicherheit wartet er auf dich. Immerhin hast du ihm versprochen, daß du nachkommst. Geh rein und bestell das Flugzeug.«
    »Gib mir eine Minute Zeit.«
    »Du hast deine Minute schon gehabt.«
    »Es könnte ein schrecklicher Fehler sein!«
    »Könnte es in beiden Fällen. Begeh also den Fehler in Elliotts Richtung. Die andere Richtung kennst du. Daran ist nichts neu.«
    »Dräng mich nicht!« sagte ich.
    »Ich dränge dich nicht. Ich tue nur, was ich am besten kann: Leuten helfen, ihre Phantasien zu verwirklichen. Du hast mir den ganzen Nachmittag lang deine Phantasie erzählt. Jetzt helfe ich dir, sie Wirklichkeit werden zu lassen.«
    Gegen meinen Willen mußte ich lächeln.
    »Deswegen hast du mich doch hergerufen, oder?« fragte er. »Jetzt geh und telefoniere. Und ich fliege mit. Ich werde dir helfen. Ich habe zwar keine große Lust auf Ferien in der Karibik mit zwei Dutzend nackter junger Männer, die sich alle überschlagen, um mir zu gefallen, aber dir zuliebe werde ich's ertragen.«
    F.r beugte sich vor und küßte mich auf die Wange.
    »Los.«
    Ich knipste das Licht an und setzte mich vor das Telefon am Bett. Sechs auf meiner Uhr und auf dem Wecker auf der Kommode. Ich nahm den Hörer und wählte.
    Drei Minuten und sechsundvierzig Sekunden, ehe die Verbindung hergestellt war.
    Richards Stimme.
    »Hallo, hier ist Lisa«, sagte ich. »Ich bin soweit, daß ich wieder nach Hause kommen kann. Könntest du das Flugzeug hierherschicken, oder soll ich nach Miami fliegen?«
    »Wir schicken es sofort los.«
    »Ich mochte eine Zusammenkunft mit dem Aufsichtsrat und mit Mister Gross. Ich möchte meinen Schreibtisch aufräumen und über eine Beurlaubung sprechen. Das heißt, wenn ihr es ernst gemeint habt, daß ihr mich nicht rausschmeißen wollt.«
    »Aber Lisa! Wir tun alles, was du willst. Ich glaube, eine Beurlaubung ist eine gute Idee, und Mister Cross wird dir
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