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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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selbst wenn eine halbwegs anständige Aufführung zustande käme: die Hörer wären nicht aufnahmebereit für seine Musik. Ihre Ohren und ihre Herzen sind verstopft durch den Schmutz und das Schmalz der wohlfeilen, vulgären, sentimental und schmissigen Melodien, mit dem sie jahrein, jahraus angefüllt werden. Es ist verlorene Mühe. Wie die Dinge heute liegen, werden von zehn Hörern acht seine Musik als Katzengeheul empfinden, einer wird sich höflich bemühen, etwas darunter zu verstehen, und höchstens einer wird sie wirklich aufnehmen.
    Sepp Trautwein sitzt in dem ramponierten Sessel. Schön wäre es, wenn er seine Musik einmal mit leiblichem Ohr aufklingen hörte. Aber sein inneres Ohr hört sie schon jetzt, er macht sich das nicht vor, es ist so. Das Motiv, das er heute morgen gefunden hat, klingt in ihm. Er hört die Verse des Äschylus und seine Musik, er hört den hellen, frechen, kühnen Schlachtruf der Griechen, welche die im Meer zappelnden Perser erschlagen, er hört das Jammergeschrei der Sterbenden, ihr Aiai und Ululu und Oioi, dieses ganze, exotische Geheul, er arbeitet nicht und doch ungeheuer intensiv, es strömt um ihn, in ihm. Er sitzt da, blicklosen Gesichtes, abwesend, und während sein Ohr das leise Ticken der Wanduhr aufnimmt, lauscht er gespannt in sich hinein, auf diesen inneren Strom.
    Dann, mit einem kleinen, unwilligen Ächzen, steht er auf, setzt sich an den Schreibtisch, arbeitet methodisch, gewissenhaft, konzentriert, um sein widerspenstiges Geträum in die verdammten fünf Linien des Notenpapiers zu zwingen.
2
Die »Pariser Nachrichten«
    Es war ein schöner Morgen, und es wird ein schöner Vormittag.
    Sepp Trautwein, auf der Redaktion der »Nachrichten«, kriegt, nach einigem Gebrumm der Kollegen, Erna Redlich an die Schreibmaschine, die Sekretärin, mit der er am liebsten arbeitet. Er ist gut in Form, und der Artikel über die Physiognomien der musikbegeisterten Führer des Dritten Reiches gibt ihm die Möglichkeit, von den Dingen zu reden, die ihm am meisten am Herzen liegen, von Musik und Politik. Der Aufsatz bekommt den Schmiß, die derbe, münchnerische Kraft, die er ihm geben will.
    Allein es liegt ziemlich viel dringliches Material vor, und es ist zweifelhaft, ob man den Artikel schon in der nächsten Nummer bringen wird, wenn Trautwein nicht nachdrückt. Mit seinem etwas unbeholfenen Schritt, die Füße nach innen gekehrt, tappt er in das Büro Franz Heilbruns, des Chefredakteurs.
    Wenn man die gepolsterte Tür durchschritten hatte, die aus den kahlen Redaktionsräumen in Heilbruns Büro führte, war man in einer andern, in einer früheren Welt. In Berlin, als Chefredakteur der »Preußischen Post«, der angesehensten Zeitung der Hauptstadt, hatte Heilbrun größten Einfluß gehabt; wenn er sich dort als Grandseigneur gegeben, dann hatten seine großartigen Worte und Gesten zu seiner Stellung gepaßt. Hier, in der Redaktion der »Pariser Nachrichten«, der »P. N.«, wie man sie allgemein nannte, wirkten sie fast lächerlich. Heilbrunaber, obwohl er sich dessen bewußt war, konnte das prächtige Gewese nicht lassen, er war ein König im Exil, und Trautwein, mit der Bildhaftigkeit des Oberbayern, fand, Heilbruns large, signorile Art schlottere um ihn wie ein zu weit gewordener Anzug um einen Abgemagerten. Auch heute wieder, innerlich lächelnd, mit gutmütiger Ironie, konstatierte Trautwein, wie Heilbrun das große, kahle Büro so umzuwandeln versucht hatte, daß er hier »empfangen« könnte; trotz aller Dürftigkeit hatte er dem Raum die Spuren des eigenen, flotten, eleganten Lebens aufzudrücken versucht. Ein kostbarer Teppich war da, freilich viel zu klein, eine bequeme Couch, der Schreibtisch war stattlich, aus gutem Holz, und trotz der Gefahr, daß einer der vielen Ausgehungerten, die hier hereinkamen, sie stehlen könnten, standen Zigaretten unverschlossen herum.
    Chefredakteur Heilbrun nimmt, wie Trautwein eintritt, die Zigarre nicht aus den Winkeln der langen, genießerischen Lippen. Doch Trautwein weiß, das hat nichts zu bedeuten; die beiden Männer stehen gut miteinander, ihre politischen Anschauungen decken sich, beide sind sie tolerant und heftig zugleich. Im übrigen ist Franz Heilbrun unausgeschlafen wie so oft. Er ist sechzig, er arbeitet gern, aber er lebt auch gern, seine Tage sind zu kurz, seine Nächte sind zu kurz.
    »Na, mein Lieber«, begrüßt er Trautwein, »was bringen Sie uns Gutes?«, und mit weiter Gebärde der großen Hand weist er auf den
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