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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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ein bißchen clownhaft, gleichzeitig aber auch wild und fanatisch, fühlte sich unbehaglich und hatte Mühe, nicht aus dem Konzept zu kommen.
    Als er endlich eine Pause machte, fragte Benjamin: »Sind Sie jetzt fertig?« Und da Trautwein bejahte, sagte er: »So, dann essen Sie erst einmal Ihren Fisch zu Ende.« Benjamin konnte boshaft sein und einem mit höhnischer Logik nachweisen, auf wie sandigem Grund heute jeder Glaube und jede Hoffnung gebaut war, aber bei alledem hatte er Charme und Humor, und die Beflissenheit, mit der er seinem Gast die Speisen schmackhaft zu machen suchte, zeigte angeborene Liebenswürdigkeit.
    Während der ganzen Mahlzeit ging er nicht auf Trautweins Anwürfe ein. Erst beim Kaffee, und offenbar statt einer Antwort, sagte er plötzlich: »Haben Sie heute meinen Artikel gelesen über die beiden Frauen, die Hitler hat köpfen lassen?« – »Ja«, erwiderte Trautwein. Es gehörte aber dieser Aufsatz zum Besten, was Benjamin geschrieben, und obwohl Trautwein Benjamins Effekte nicht liebte, hatte der Artikel ihn ergriffen. Benjamin hatte zunächst schlüssig nachgewiesen, daß die beiden Frauen lediglich deshalb exekutiert worden waren, weil sie zuviel von Hitlers Gemetzel vom 30. Juni wußten. Sodann hatte er eine erregende Schilderung des brutalen Faktums gegeben. Man sah, wenn man seinen Artikel las, die beiden Frauen leibhaft vor sich, wie sie auf mittelalterliche Art zum Block geschleppt wurden, gebunden, man sah den Henker, das Hackbeil, die Nacken der Frauen, sorglich vorbereitet, den Schlag zu empfangen. Fachmännisch hatte Trautwein zu würdigen gewußt, wie gut an dieser Stelle Benjamins Anmerkung saß, daß man die beiden natürlich mit deutscher Gründlichkeit rasiert hatte. Noch manches andere hatte sich ihm eingeprägt. Benjamins Sätze zum Beispiel über das Gesicht des Diktators, wie der das Gnadengesuch zurückweist und das Todesurteil mit seiner klobigen, kleinbürgerlichen Schrift unterzeichnet. Trautwein konnte also Benjamins Aufsatz mit gutem Gewissen und kennerisch rühmen.
    Benjamin schaute ihm, solange er sprach, voll ins Gesicht mit seinem fanatischen, gesammelten und gleichwohl abwesenden Blick; in kleinen Schlucken trank er von seinem Kaffee,das runde, dickliche, fatal lächelnde Antlitz wirkte jetzt noch mehr wie eine betrübte Clownsmaske.
    »Ich danke Ihnen für Ihr freundliches Urteil, Kollege«, sagte er, als Trautwein zu Ende war, mit parodistischer Kopfneigung. »Es tut immer wohl, gelobt zu werden, aber nicht zu diesem Zwecke habe ich Sie gefragt. Ich wollte einfach nachprüfen, ob das herausgekommen ist, was ich in den Artikel hineinlegen wollte. Ich sehe, es ist herausgekommen, der Aufsatz ist geglückt. Lassen Sie mich jetzt«, und er hob, da Trautwein sprechen wollte, abwehrend die kleine, behaarte Hand, »das, was Sie zu Eingang unseres Frühstücks ausführten, auf diesen Artikel anwenden. Sie haben vollkommen recht. Was ist mit diesem geglückten Artikel erreicht? Nichts ist erreicht. Die beiden Frauen sind tot, ihre Körper seziert, ihre abgehackten Köpfe längst von den Anatomen zerschnitten. Einen Augenblick hat die Welt aufgehorcht und Pfui gesagt. Aber jetzt schon, zehn Tage hernach, hat sie die Scheußlichkeit vergessen, und mein Artikel wird daran nichts ändern. Ich gehe noch weiter als Sie. Wenn heute ein Shakespeare käme oder ein Dante und die glühendsten Verse über die Barbarei der Nazis schriebe, wenn ein Swift oder Voltaire seinen bittersten Hohn über ihren Mangel an Urteil und Geschmack ausgösse, wenn ein Beaumarchais oder Victor Hugo die schwungvollsten Aufsätze darüber schriebe, es würde nichts ändern. Nach vierzehn Tagen wäre die brutale Hinrichtung der beiden Frauen trotzdem Vergangenheit und verstaubt, als läge sie tausend Jahre zurück. Was soll da ich bewirken, ich, der kleine Friedrich Benjamin, mit meinen ›Nachrichten‹ nebbich und meinem Füllfederhalter? Das etwa wollten Sie doch sagen, lieber Trautwein? Oder habe ich Sie mißverstanden?«
    Trautwein war betroffen. Benjamin hatte wirklich das, was er selber hatte ausdrücken wollen, noch schärfer und besser gesagt, mit der zynischen Resignation eines Mannes, der weiß, daß er ein Don Quichotte ist. Trautwein spürte Respekt und Schuld. Aus ihm selber nämlich hatte der Hochmut des Künstlers gesprochen. Der Künstler – das war der geheimeHintersinn seiner Sätze gewesen – hat das Recht, auch ohne äußern Zweck zu arbeiten, nur um sich auszudrücken und
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