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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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diesen Ausdruck andern zu vermitteln, und darum hat seine Arbeit Sinn; die Arbeit des Journalisten aber hat Sinn nur dann, wenn sie bestimmte, erreichbare Ziele verfolgt. Dieser Friedrich Benjamin nun wußte genausogut wie er selber, wie gering auch im besten Falle seine Wirkung sein konnte, und daß er, dies wissend, seine Arbeit trotzdem weiterführte, verlieh ihm Würde, Format. Trautwein also hatte ihm unrecht getan und spürte Scham.
    »In Berlin«, meditierte Benjamin weiter, »standen unsere Illusionen auf soliderem Grund. Man bekam von der Wirkung seiner Artikel etwas zu spüren. London, Paris, New York zitierten einen. Es gab Interpellationen, Geschrei. Man konnte sich vormachen, was man schreibe, bewirke Veränderungen. Heute schreiben wir in die leere Luft. Diejenigen, die uns lesen, sind von vornherein unserer Meinung, und diejenigen, die schwanken oder keine Meinung haben, die erreichen wir nicht.« Er schaute mit seinen schönen, traurigen Augen bald vor sich hin, bald Trautwein ins Gesicht, bald in den Raum.
    Wozu sitzt er hier in dem eleganten Lokal? dachte Trautwein, und seine flüchtige Scham wandelte sich zurück in Abneigung. Die Zeche wird mindestens achtzig Franken machen. Er stammt aus kleinbürgerlicher, jüdischer Familie, irgendwo vom Rhein oder vom Main. Er muß sich abrackern und schlaflose Nächte verbringen, um so leben zu können, wie er es tut. Man kann um acht Franken zu Mittag essen, es gibt Emigranten, die froh sind, wenn sie zwei Franken für ein Mittagessen übrig haben. Warum muß Friedrich Benjamin achtzig Franken dafür hinausschmeißen?
    Jetzt aber fing Benjamin zu lächeln an. Trautwein kannte dieses Lächeln. Zuweilen, unvermutet, erschien es auf Benjamins Gesicht, ein weises, resigniertes, im tiefsten amüsiertes Lächeln, welches die Welt und Friedrich Benjamin bestrahlte, wie die Sonne eine Schmutzlache bestrahlt und in vielen Farben leuchten macht. Friedrich Benjamin also lächelte, hobsein Glas mit dem Kognak, beschaute es nachdenklich und sagte: »Es wäre natürlich Unsinn, wenn ich Ihnen oder mir selber vormachen wollte, ich schriebe meine Artikel, weil ich glaube, dadurch zur Veränderung der Welt beizutragen. Ich glaube es nicht. Ich schreibe nicht aus diesem Grund.« Er trank seinen Kognak hinunter und sagte, leise, doch nachdrücklich: »Ich bin ein besessener Journalist, das ist alles. Ich kann nichts verschweigen. Ich muß schreiben, auch wenn das völlig sinnlos ist und keinerlei Wirkung tut. Ich weiß genau, daß Rechthaben nichts nützt und daß man auf diesem Planeten alle gegen sich hat, wenn man darauf beharrt, recht zu haben. Dennoch will ich recht haben, lieber Sepp, ich muß recht haben. Das ist mir wichtiger als essen und trinken.«
    Dem toleranten Trautwein war diese Selbstentblößung nicht sympathisch, auch die Stimme Benjamins war ihm nicht sympathisch, und schon gar nicht die Art, wie er »Sepp« sagte. Aber dem Lächeln auf Benjamins Gesicht konnte er nicht widerstehen. Wie dieser Mensch sich selber durchschaute und sich selber zum besten haben konnte, das war einfach großartig.
    Leider war es nur eine kurze Minute, in der Benjamins Selbsterkenntnis leuchtete. »Immerhin«, fuhr er nämlich nach einem kleinen Schweigen fort, »ist es ein Trost, zu wissen, daß man meine Artikel am Quai d’Orsay und in Downing Street lesen wird, und daß zwanzig Exemplare der ›P. N.‹ nach Berlin gehen, an das Propagandaministerium. Der Herr Reklameminister versteht freilich meine stilistischen Feinheiten nicht so gut wie Sie, Sepp; trotzdem ist es ein angenehmer Gedanke, sich sein Gesicht vorzustellen, wenn er den Artikel liest.« Er sprach leise, selbstgefällig, und Trautwein ärgerte sich. Der Mann, der ihm jetzt gegenübersaß, war wirklich nichts weiter als ein hysterischer Rechthaber und seine Selbsterkenntnis Krampf, Angeln nach Komplimenten.
    Es ist Ilse, darin sind sich alle einig, die ihn zu dem Leben verführt, für dessen Hohlheit er selber so gute Worte findet. Niemand begreift, warum sie ihn geheiratet hat, die schöne,reiche, elegante Ilse dieses unscheinbare Fritzchen, das gesellschaftlich so gar nicht zählt. Sie ist eine merkwürdige Person. Sie betrügt ihn hinten und vorn; wie sie sich in seiner eigenen Gegenwart über ihn lustig macht, hat Sepp Trautwein mehrmals peinvoll miterlebt. Wagt es aber ein Dritter, sich über ihn zu mokieren, dann macht sie dem Spötter wüste Szenen. Leicht hat es Benjamin nicht mir ihr. Wahrscheinlich zöge
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