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Evolution

Evolution

Titel: Evolution
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angerichtet hatten; vom Haar ganz zu schweigen.
Lucy war im Verlauf ihres noch kurzen Lebens aber nur sehr wenigen
›richtig‹ alten Leuten begegnet, sodass sie kaum
Vergleichsmöglichkeiten hatte. Für sie war Joan einfach nur
Joan, ihre Mutter und engste Gefährtin.
    Es war ein sonniger Tag, der nur von ein paar hohen Schleierwolken
getrübt wurde. Die Sonne knallte auf das große
Sonnensegel, das Lucys Kopf überspannte. Trotzdem hatten die
Frauen sich in die schweren Ponchos gehüllt, und alle paar
Minuten schauten sie zum Himmel empor. Sie hatten die Sorge, dass
Regen noch mehr von dem Staub in der Atmosphäre auswaschen
würde, das toxische und mitunter radioaktive Zeug, bei dem es
sich einst um Felder, Städte und Menschen gehandelt hatte und
das sich nun wie eine dünne graue Decke um den Planeten
wickelte.
    Und wie immer redete Joan Useb wie ein Wasserfall.
    »… Ich hatte immer schon ein Faible für die Briten,
weißt du. Gott hab sie selig. In ihren besten Zeiten haben sie
sich natürlich manchmal danebenbenommen. Aber die Menschen
hatten sich generell an den Galapagos-Inseln versündigt.
Verrückte norwegische Bauern, ecuadorianische Gefangenenlager,
und alle rotteten die wilden Tiere nach besten Kräften aus.
Selbst die Amerikaner benutzten die Inseln als
Bombenabwurfgelände. Doch die Briten taten den Galapagos-Inseln
nicht mehr an, als Darwin für fünf Wochen hinzuschicken und
mit der Evolutionstheorie wieder abzuholen…«
    Lucy stellte die Ohren auf Durchzug; diese wahllosen Reflexionen
über eine Welt, die sie nie kennen gelernt hatte, bedeuteten ihr
nichts.
    Fregattvögel zogen am Himmel ihre Kreise und folgten dem
Boot, wie sie den Fischkuttern und Ausflugsdampfern gefolgt waren,
als die noch das Wasser durchpflügten. Es waren große
schlanke, schwarz gefiederte Vögel, die für Lucy eine
frappierende Ähnlichkeit hatten mit den Pterosauriern in den
Lehrbüchern und auf den verblassenden Computer-Ausdrucken ihrer
Mutter. Im Wasser glaubte sie einen Seelöwen zu erkennen, der
vielleicht vom Summen des elektrischen Bootsmotors angelockt wurde.
Aber diese drolligen Tiere waren mittlerweile selten, denn sie wurden
von den Schadstoffen vergiftet, die noch immer in den Meeren
zirkulierten.
    Die Galapagos-Inseln waren eine Gruppe von Vulkankegeln, die vor
ein paar Millionen Jahren hier am Äquator, tausend Kilometer
westlich von Südamerika, über die Wasseroberfläche
sich erhoben hatten. Ein paar von ihnen waren nicht mehr als eine
Aufhäufung vulkanischer Felsbrocken. Andere hatten jedoch eine
eigene geologische Evolution durchgemacht. Auf der
Bartholomäusinsel zum Beispiel waren die weichen
äußeren Schichten der älteren Kegel abgetragen
worden, und die robusten Stotzen hatten sich blutrot gefärbt,
als das in ihnen enthaltene Eisen gerostet war. Später waren
diese älteren Formationen jedoch wieder von Lava umströmt
worden, die zu Feldern, Röhren und Kegeln erstarrt war –
wie ein grauschwarzes Mond-Meer, das um die Füße der alten
Monumente schwappte.
    Und es gab Leben hier auf diesen neuen, halbfertigen Inseln:
Natürlich war es aber nur ein schwacher Abglanz des Lebens, das
einst zum berühmtesten auf der ganzen Welt gezählt
hatte.
    Sie sah einen hageren Vogel auf einem schmalen Felsvorsprung
stehen. Es war ein flugunfähiger Kormoran: ein struppiges
schwarzes Geschöpf mit nutzlosen Stummel-Flügeln und einem
öligen Gefieder. Es stand da allein auf dem vulkanischen Felsen
und schaute ruhig aufs Meer hinaus, als ob es auf etwas wartete. Vor
Räubern musste der Vogel sich hier nicht fürchten.
    »… Echt hässlich«, murmelte Joan. »Diese
Inseln, die Vögel und anderen Tiere. Wunderbar, gewiss, aber
auch hässlich… Inseln sind seit jeher große
Laboratorien der Evolution gewesen. Die Isolation. Die Leere, nur von
einer Handvoll Spezies besiedelt, die übers Meer oder durch die
Luft hierher kamen und dann all die leeren Nischen besetzt haben. Wie
dieser Kormoran. So weit kommt man anscheinend in drei Millionen
Jahren: Man bleibt auf halber Strecke zwischen einem Pelikan und
einem Pinguin stehen. Gib ihm aber noch ein paar Millionen Jahre, und
diese nutzlosen Flügel werden sich in richtige Flossen
verwandelt haben und die Federn in Schuppen. Ich frage mich, wie er dann wohl aussehen würde? Kein Wunder, dass Darwin hier
die Augen geöffnet wurden. Man kann der Selektion förmlich
bei der Arbeit zuschauen.«
    »Mutter…«
    »Das weißt du natürlich alles schon.« Sie
verzog das
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