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Evolution

Evolution

Titel: Evolution
Autoren: authors_sort
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verharrte irgendwie unschlüssig. Doch die
Sphäre rührte sich nicht.
    Plötzlich stieß Kaktus ein Geheul aus und trommelte auf
den Boden. Ultima wirbelte herum und ging zugleich in die Hocke.
Kaktus’ linkes Bein war irgendwie eingeklemmt, und Blut schoss
aus dem Fuß – und Ultima hörte das Brechen von
Knochen, als ob das Bein der armen Kaktus von einem großen Maul
zermalmt würde.
    Aber da war kein Maul zu sehen.
    Kaktus wurde weder von Zähnen noch von Klauen
malträtiert. Doch wie aus dem Nichts erschienen Schnitte in
ihrer Brust und im Torso, aus denen Blut tropfte. Sie wehrte sich
noch immer. Sie ließ die Fäuste fliegen und versuchte
sogar zu beißen. Sie landete auch Treffer – Ultima
hörte ein Klatschen, als die Fäuste auf Fleisch trafen und
sah, wie die Luft über Kaktus sich stellenweise veilchenblau
verfärbte. Und das Blut zeichnete die Konturen des Angreifers
mit roten Spritzern nach. Ultima erkannte einen langen, zylindrischen
Torso, Stummelbeine und ein großes, schnappendes Maul.
    Kaktus verlor den Kampf. Ihre Beine und der Oberkörper
gerieten unter die schimmernde Masse. Sie drehte sich zu Ultima um
und streckte die Hand aus.
    Ultima verspürte einen instinktiven Widerstreit. Es wäre
vielleicht etwas anderes gewesen, wenn sie sich vorzustellen vermocht
hätte, wie Kaktus sich fühlte und ihre Todesangst
nachempfunden hätte. Jedoch war Ultima dazu nicht in der Lage;
Empathie war mit der Menschheit verschwunden, wie so vieles andere
auch.
    Sie hatte zu lang gezögert.
    Die schemenhafte Masse richtete sich auf und brach über
Kaktus herein. Ein Blutschwall schoss ihr aus dem Mund.
    Ultimas Schock verflog. Mit einem entsetzten Quieken drehte sie
sich um und drückte das Kind an die Brust. Mit den
Füßen und der freien Hand stob sie über den staubigen
Grund. Sie rannte immer weiter, bis sie einen erodierten roten
Felsvorsprung erreichte.
    Sie warf sich auf den Boden und schaute zurück. Kaktus
rührte sich nicht mehr. Ultima sah nichts mehr von dem riesigen
transparenten Ding, das sie getötet hatte. Dafür waren wie
aus dem Nichts neue Kreaturen aufgetaucht. Sie sahen aus wie
Frösche mit breiten Leibern, lederartiger Amphibienhaut, mit
Klauen besetzten Zehen-Füßen und großen Mäulern
mit nadelspitzen Zähnen zum Reißen und Stechen. Einer
hatte bereits Kaktus’ Brust geöffnet und labte sich an den
noch immer warmen inneren Organen.
    Der unsichtbare Räuber hatte seine Arbeit erledigt. Er lag
erschöpft in einer Lache von Kaktus’ Blut. Er war sogar zu
schlapp zum Fressen und ließ sich von seinen gierigen
Sprösslingen füttern. Man sah, wie das Fleisch von den
Zähnen zerkleinert und durch den Schlund in den Magen
transportiert wurde, wo es durch Verdauungsprozesse absorbiert und
umgewandelt wurde.
    In einer leeren und verwitterten Welt war die fehlende Deckung
fatal. In einer Landschaft so flach wie ein Bügelbrett vermochte
man einfach keinen tonnenschweren Salamander zu verstecken, selbst
wenn man ihm einen roten Anstrich verpasst hätte wie das
Gestein. Deshalb waren die meisten großen Tiere im Wettbewerb
mit ihren kleineren Verwandten unterlegen und bald verschwunden.
    Doch diese Kreaturen hatten eine neuartige Strategie angewandt:
die ultimative Tarnung. Die Umstellung hatte Dutzende Jahrmillionen
gedauert.
    Unsichtbarkeit – oder zumindest Transparenz – war eine
Strategie, die in früheren Zeiten schon manche Fische angewandt
hatten. Es handelte sich um einen transparenten Ersatz für die
meisten körpereigenen Biochemikalien. So musste zum Beispiel ein
Ersatz für Hämoglobin gefunden werden, den roten
Blutfarbstoff, der den lebenswichtigen Sauerstoff durch den
Körper transportierte.
    Natürlich gelang es keinem Landbewohner, sich wirklich
unsichtbar zu machen. Selbst in diesen trockenen Zeiten waren die
Tiere im Grunde genommen Wasserbeutel. Wären sie von Wasser
umgeben gewesen – wie diese lang ausgestorbenen Fische –,
hätten sie allerdings einen Zustand annähernder
Unsichtbarkeit zu erreichen vermocht. Das Licht bewegte sich jedoch
verschieden durch Luft und Wasser; an der Luft hatten die
Endzeit-›Unsichtbaren‹ Ähnlichkeit mit großen
Wassersäcken, die auf dem Boden lagen.
    Trotzdem funktionierte es ganz gut. Solang man sich ruhig
verhielt, war man kaum wahrzunehmen – höchstens als ein
dunstiger Schemen oder ein schwaches Wabern, das man leicht mit vor
Hitze flimmernder Luft verwechseln konnte. Man vermochte sich an
einen Felsen zu schmiegen, sodass
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