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Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Evolution, Zivilisation und Verschwendung

Titel: Evolution, Zivilisation und Verschwendung
Autoren: Peter Mersch
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keine einzige
nichtbiologische Evolution
(Technik, Kultur, Wissen etc.) schlüssig auf das Prinzip der natürlichen Auslese zurückgeführt werden.
Im Grunde gilt dies sogar für die
sexuelle Evolution
(Miller 2001), für die Charles Darwin mit der
sexuellen Selektion
ein von der
natürlichen Auslese
deutlich abweichendes Evolutionsprinzip formulierte, so dass nun zur Erklärung der Entstehung und Weiterentwicklung der Arten mehrere konkurrierende Evolutionsmechanismen existieren.
    In „
Evolution, Zivilisation und Verschwendung
“ wird eine ganz einfache Theorie vorgestellt 9 , die die genannten Ungereimtheiten allesamt auflösen kann. Gemäß der
Systemischen Evolutionstheorie
besteht die Welt nämlichaus einer Vielzahl an evolutionsfähigen Systemen, die vor allem eins im Sinn haben: leben und überleben wollen. Kommen sie sich dabei in die Quere, werden sie zu Feinden, Konkurrenten oder Partnern. Ist ihre Kooperation besonders intensiv, kann eine neue Systemebene entstehen, für die nun wieder das Gleiche gilt: leben und überleben wollen. Etwas Entsprechendes ist seit Beginn des Lebens auf der Erde mindestens zweimal passiert, einmal im Rahmen der Organismenbildung vor ca. 500 Millionen Jahren, ein anderes Mal erst unlängst mit dem Aufkommen der Organisationssysteme.
    Mit der Sexualität erfand die Natur eine neue Interaktionsweise – die
Gefallen-wollen-Kommunikation
–, die ihr die Möglichkeit gab, beliebige eigenständige Evolutionsumgebungen entstehen zu lassen. Damit war der Weg frei für die heutige Artenvielfalt, aber auch die Evolution der Technik, der Kultur und des Wissens.
    Fundamente der
Systemischen Evolutionstheorie
sind also letztlich das Leben selbst und die Sexualität. Unter den Neuerungen der vierten Auflage von „
Evolution, Zivilisation und Verschwendung
“ stehen deshalb zwei zentrale biologische Fragestellungen im Vordergrund:
Was ist Leben?
Anders gefragt: Worin unterscheiden sich Lebewesen von unbelebter Materie beziehungsweise von anderen biologischen Phänomenen (wie etwa Ameisennestern)? 10
Wozu gibt es Sexualität?
11
    Um es gleich vorweg zu sagen: Das vorliegende Buch bemüht sich zwar um eine Beantwortung der ersten Frage, doch scheint mir die Problemstellung damit keineswegs abschließend gelöst zu sein. Dennoch glaube ich, dass man sich dem Wesen des Lebens nur ungefähr so wie vorgeschlagen wird nähern können, nämlich über die in den Lebewesen verankerte emergente Subjektfunktion und den daraus resultierenden Eigeninteressen (Selbsterhalt, Selbstreproduktion) in Relation zu einer ansonsten objekthaften Umwelt. Möglicherweise wird eine reduktionistische Vorgehensweise dagegen niemals befriedigende Antworten liefern können.
    Ganz anders sieht die Situation beim Thema Sexualität aus. Hier kann man die grundsätzlichen Vorteile der sexuellen Fortpflanzung in getrenntgeschlechtlichen Populationen recht genau benennen. Auf eine Kurzformel gebracht: Die meisten Vorteile der sexuellen Reproduktion erwachsen aus dem Unterschied in der potenziellen Fruchtbarkeit von männlich versus weiblich (Voland 2007: 49). Die daraus resultierende Aufgabenspezialisierung des männlichen Geschlechts stellt den eigentlichen evolutionären Vorteil getrenntgeschlechtlicher Spezies gegenüber Hermaphroditen oder sich asexuell reproduzierenden Arten dar.
    Allerdings ist eine solche Erkenntnis relativ neu, denn Mitte des 20. Jahrhunderts schrieb etwa Simone de Beauvoir in ihrem Hauptwerk „
Das andere Geschlecht
“ noch, der eigentliche Sinn der Unterteilung der Arten in zwei Geschlechter sei den Biologen überhaupt nicht klar und es gebe möglicherweise auch keinen (De Beauvoir 2000: 28), weswegen sie dann folgerte (De Beauvoir 2000: 33):
    Vielleicht wird die Mitwirkung des Mannes in der Fortpflanzung eines Tages überflüssig: das ist anscheinend der Wunsch zahlreicher Frauen.
    Alice Schwarzer ergänzt, der Mensch habe ursprünglich eine „polymorphe Sexualität“, die nicht festgelegt sei, und die vorherrschende Heterosexualität sei ein Resultat der kulturellen Priorität (Schwarzer 2007: 41). Entsprechend fordert sie einen „neuen Menschen“ (Schwarzer 2007: 168):
    Ja, es stimmt, die schlimmsten Albträume der Fundamentalisten und Biologisten müssten wahr werden: Das werden nicht mehr die gewohnten „Frauen und Männer“ sein (…), sondern herauskommen wird ein „neuer Mensch“. Ein Mensch, bei dem die individuellen Unterschiede größer sein werden als der
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