Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evil

Evil

Titel: Evil
Autoren: Jack Ketchum
Vom Netzwerk:
sarkastisch erscheinen wie eine Kellnerin mit rauer Schale, aber weichem Kern, doch in Wirklichkeit verliert sie allmählich den Verstand und versinkt immer tiefer in einer Hölle aus Gewalt und Paranoia. Sie ist eine scheußliche, aber merkwürdig banale Schurkin, die perfekte Besetzung für die Eisenhower-Jahre. Was ihr eigentlich fehlt, erfahren wir nie. Nicht zufällig lautet die von Ruth und allen Kindern, die ihr Haus besuchen, benutzte Zauberformel: nicht der Rede wert. Diese Phrase, die fast wie eine Zusammenfassung der fünfziger Jahre wirkt, nehmen sich alle Figuren des Romans so sehr zu Herzen, dass es irgendwann viel zu spät ist, um das bittere Ende abzuwenden.
    Letztlich interessiert sich Ketchum weniger für Ruth als für die Kinder – nicht nur für die Chandler-Jungs und David, sondern auch für all die anderen, die ab und zu hinunter in den Keller der Chandlers steigen, während Meg langsam zu Tode gefoltert wird. Ketchum liegt etwas an Eddie und Denise, an Tony, Kenny, Glen und der ganzen albernen Fünfzigerjahrebande mit ihren Pomadentollen und den vom Baseballspielen aufgeschürften Knien. Manche schauen praktisch nur zu wie David. Andere schrecken schließlich auch nicht davor zurück, Meg mit heißen Nadeln die Worte ICH FICKE FICK MICH auf den Bauch zu nähen. Sie schlendern herein … sie schlendern wieder hinaus … sie sehen fern … sie trinken Cola und essen Erdnussbutterbrote … und niemand sagt ein Wort. Niemand setzt den Ereignissen im Bunker ein Ende. Es ist ein Alptraum-Szenario, eine bizarre Kreuzung aus Happy Days und Uhrwerk Orange, aus Dobie Gillis und Der Sammler. Das Ganze funktioniert nicht nur, weil Ketchum das kleinstädtische Ambiente perfekt einfängt, sondern auch, weil wir gegen unseren Willen zu der Einsicht gezwungen werden, dass so etwas mit der richtigen Mischung aus emotional gestörten Kindern, dem richtigen geistig gestörten Erwachsenen als Führer durch den Schrecken und vor allem der richtigen Geht-mich-nichts-an-Atmosphäre durchaus denkbar wäre. Immerhin war dies die Ära, in der eine gewisse Kitty Genovese in einer New Yorker Seitenstraße über einen Zeitraum von mehreren Stunden hinweg mit Messerstichen zu Tode gequält wurde. Immer wieder rief sie nach Hilfe, und viele Leute sahen, was passierte, aber niemand unternahm etwas dagegen. Nicht einmal die Polizei wurde gerufen.
    Auch sie folgten bestimmt dem Motto Nicht der Rede wert … und von dort ist es im Grunde nur noch ein kleiner Schritt bis zu Machen wir doch mit.
    Der Erzähler David ist die einzige menschlich anständige Figur des Romans und macht sich als solche sicherlich zu Recht Vorwürfe wegen des schrecklichen Foltermordes in Ruth Chandlers Keller; Anständigkeit ist nicht nur eine Einstellung, sondern auch eine Verantwortung, und als der einzige Zeuge, der begreift, dass die Geschehnisse in diesem Haus böse sind, lädt er letzten Endes größere Schuld auf sich als die moralisch hohlen Kinder, die das Mädchen von nebenan aufschlitzen, verbrennen und sexuell missbrauchen. David beteiligt sich nicht an diesen Dingen, aber er erzählt seinen Eltern nichts von den Vorfällen im Chandlerhaus und meldet sie auch nicht der Polizei. Ein Teil von ihm will sogar mitmachen. Es ist eine Art von Genugtuung für uns, als Davy schließlich doch noch eingreift – der einzige kalte Sonnenstrahl der Hoffnung, den uns Ketchum gestattet –, doch wir hassen ihn auch dafür, dass er es nicht schon früher getan hat.
    Wenn Hass alles wäre, was wir für diesen unglückseligen Erzähler empfinden, würde Evil bei seiner moralischen Gratwanderung genauso abstürzen wie American Psycho von Brett Easton Ellis. Doch David ist Ketchums vielleicht gelungenste Figur überhaupt, Lichtjahre entfernt von Ellis' flachen Pornogestalten, und seine Komplexität verleiht dem Buch eine Tiefe, die in den früheren Romanen des Autors nicht immer anzutreffen ist. Wir empfinden Mitleid mit David, wir verstehen sein anfängliches Zögern, Ruth Chandler zu verpfeifen, die Kinder als Menschen behandelt und nicht als Quälgeister, die einem ständig zwischen die Beine laufen, und wir begreifen auch seine verhängnisvolle Unfähigkeit, die Tragweite der Ereignisse zu erfassen.
    »Und manchmal war es … wie diese Filme, die später in den sechziger Jahren kamen«, sagt David. »Ausländische Filme meistens – wo man das Gefühl hatte, dass man in eine undurchdringliche Welt faszinierender, hypnotischer Illusionen eingetaucht war,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher