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Evies Garten (German Edition)

Evies Garten (German Edition)

Titel: Evies Garten (German Edition)
Autoren: K.L. Going
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wirbelnden weißen Flocken den ersten strahlend roten Apfel.
    »Jetzt«, sagte sie und trat mehrere Schritte vor. Vater ließ sie nicht aus den Augen, als sie den Apfel pflückte. Sie beobachtete ihn, während er mit gerunzelter Stirn dastand und der Schnee lautlos um ihn herumtanzte. Doch dann wurde sein Gesicht vor Verwunderung ganz weich und zärtlich.
    »Kannst du ihn jetzt sehen?«, flüsterte Evie, doch Vater schüttelte den Kopf.
    »Nein«, sagte er, »aber für einen Augenblick hast du ausgesehen wie deine Mutter. So erwachsen.«
    Evie hielt den Apfel fest. Zum ersten Mal seit Moms Tod spürte sie die Gegenwart ihrer Mutter als etwas, das ein Teil von ihr selbst war.
    Sie sah Vater wieder an, lächelte und hob den Apfel an die Lippen.

Wieder im Garten
    Als Evie diesmal in den Apfel biss und die Welt anfing sich zu drehen, rannte sie mitten in die Blüten hinein. Sie drehte sich noch einmal um und sah, wie sich Vaters Gestalt im Schnee auflöste. Dann war er weg, und sie fiel immer schneller mit fest geschlossenen Augen und geballten Fäusten, bis sie unvermittelt wieder in den Osterglocken landete. Als sie sich umdrehte, stand der Baum direkt hinter ihr – frisch und grün und voller Äpfel.
    Ob Mom in der Nähe ist? , dachte sie, und für einen kurzen Augenblick genoss sie die Wärme und stellte sich vor, wie sie alle drei wieder zusammen waren, wie sie sich näher waren, als man mit den Augen sehen konnte.
    Dann dachte sie an Adam. Irgendwo da draußen warteten seine Eltern auf ihn.
    Evie schälte sich aus ihrer Jacke und den Fäustlingen und legte sie auf den Boden. Dann rannte sie aus dem Apfelgarten. Sie fand das Fahrrad dort, wo sie es abgelegt hatte, stieg auf und trat kräftig in die Pedale. Als sie die Stadt erreicht hatte, ging sie in jedes Geschäft, das offen war, und rief Adams Namen, doch er blieb spurlos verschwunden. Die Bücherei war zu, und Maggies Laden war leer – bis auf das Dickicht aus Brombeeren und Schlingpflanzen.
    Wo bist du nur? , dachte Evie und überlegte, wo sie an Adams Stelle hingegangen wäre.
    Sie stieg wieder aufs Fahrrad und fuhr zu seinem Haus, doch als sie dort ankam, wirkte das Haus still und menschenleer. Evie ging die Vorderstufen hinauf und stieß die Haustür auf. Sie ging schnell von einem Zimmer zum nächsten und suchte nach irgendeinem Zeichen von Adam. Als sie an den Porträts vorbeikam, blieb sie stehen. »Alex der Große«, murmelte sie. »Ich wünschte, ich wäre dir in Wirklichkeit begegnet.«
    Sie hielt inne.
    In gewisser Weise war sie ihm begegnet. Sie hatte jemanden kennengelernt, der beinahe genauso war wie er, der gelacht hatte, der sie geneckt hatte und der auf Grabsteinen balanciert war.
    Grabsteine …
    Evie drehte sich auf dem Absatz um und rannte aus dem Haus, die Stufen hinunter. Sie nahm die geheime Abkürzung, die Adam ihr gezeigt hatte und als sie auf der anderen Seite wieder auftauchte, sah sie in der Ferne den Friedhof.
    Sie sprintete über die Wiese.
    »Adam?«, rief sie, als sie den Friedhof erreicht hatte, doch niemand antwortete. Sie lief so schnell sie konnte zwischen den Brombeerhecken durch, die jetzt inmitten der Gräber wucherten und den Weg zu Alex versperrten.
    Es gab nur einen Weg durch das Gestrüpp.
    Evie machte die Augen zu und konzentrierte sich darauf, das Leben zurückzudrängen, das nicht für diesen Ort bestimmt war. Sie stellte sich vor, wie es dorthin zurückfloss, wo es hingehörte: zurück in die reale Welt von Beaumont.
    Stückchen für Stückchen wichen die Dornenbüsche vor ihr zurück. Evie stellte sich vor, wie die Blumen in der Stadt verschwanden und die Kirschen vom Kirschbaum in ihrem Garten herunterfielen und wie die wuchernde Weide verkümmerte … Sie schickte alles Leben, das die erste Eva gestohlen hatte, in die Welt zurück, aus der es stammte.
    Die ganze Zeit konnte Evie den eiskalten Strom spüren, der dabei durch ihre Adern floss, doch sie fürchtete sich nicht. Jetzt nicht mehr.
    Schließlich machte sie die Augen wieder auf.
    Der Friedhof war so nackt und leer wie er zu Hause gewesen war, und ein paar Meter vor ihr ragte Alex’ Grabstein aus der Erde. Sie ging hin, doch Adam war nicht da. Stattdessen lag ein kleines Herz aus Holz in der Mitte des Grabs, auf dem Ich hab dich lieb stand.
    Evie hob es auf.
    Es war Adams Zeichen.
    »Adam?«, rief sie. Sie wandte sich um und musterte die Engelsstatue. »Ich weiß, dass du hier bist.«
    Unter dem wehenden Steingewand des Engels blitzte ein Stück
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