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Everlasting

Everlasting

Titel: Everlasting
Autoren: Holly-Jane Rahlens
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Jahrhundert? Das warja wohl so weit entfernt von großer Literatur, wie es nur ging. Es sei denn, es handelte sich um die frühen Ergüsse eines Menschen, der später zu Berühmtheit gelangt war. Aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit? Finn ertappte sich bei dem Gedanken, dass es vielleicht doch ein Fehler wäre, die Geschäftsberichte der Deutschen Bank abzugeben.
    «Wir hoffen, der Name der Verfasserin steht irgendwo im Text», sagte der Direktor, der offenbar schon wieder Finns Gedanken erriet. «Vielleicht sind spätere Arbeiten von ihr bekannt. Das herauszufinden ist natürlich Ihre Aufgabe. Sie werden jedes Wort lesen. Jedem Hinweis nachgehen. Wo wohnt sie? Aus welcher Familie stammt sie? Wer sind ihre Freunde? Bestimmt finden sich Anhaltspunkte. Und zwar bald, wie wir hoffen. Es könnte sich um ein bedeutsames Projekt handeln. Vielleicht können Sie daraus sogar eine Doktorarbeit machen. Sie haben doch vor zu promovieren?»
    «Gewiss. Dieser Historiker hat das in Erwägung gezogen. Zunächst wollte er aber noch ein oder zwei Jahre arbeiten und seine Recherchefähigkeiten optimieren.»
    «Ausgezeichnet.» Der Direktor stand auf. «Dann sind wir uns also einig?»
    Finn war verdattert. «Brauchen Sie sofort eine Antwort?»
    Doc-Doc runzelte die Stirn. «Selbstverständlich. Was hätte unser Holocasting sonst für einen Sinn?»
    «Wenn das so ist, ja. Ja, gern.»
    «Wir haben Ihnen für heute einen Platz reserviert, 14.00   Uhr Eastern Standard Time. New York   – Berlin. Die entsprechenden Informationen liegen in Ihrer Inbox. Wir erwarten Sie Mittwochmorgen in Greifswald.» Und dannstand der Direktor plötzlich im Familienzimmer der Nordstroms. «Aha!», sagte er, als er sich umschaute und die Möbel im Raum in Augenschein nahm. «Entzückend. Antik! Nordamerika, einundzwanzigstes Jahrhundert.» Er trat ans Fenster. «Der Mond! Großartige Aussicht.» Er drehte sich zu Finn um und gab ihm die Hand. «Also dann, bis Mittwoch.»
    Und noch ehe Finn der Luft die Hand schütteln konnte, war der Direktor der Europäischen Bibliothek verschwunden.

3   Das Onyx-Kästchen
    Als Finn erwachte, fiel Sonnenlicht durch sein Fenster. Er blieb einen Augenblick still im Bett liegen, studierte das Spiel der Schatten in seinem Zimmer und lauschte dem Klang der Brandung.
    Er hatte nur wenige Stunden geschlafen. Der Tod seiner Familie vor gerade mal zwei Wochen, Rouges Besuch, das Holocasting mit Doc-Doc und jetzt eine neue Arbeit: Das war einfach zu viel auf einmal. Hoffentlich konnte er auf dem Zweieinhalbstundenflug nach Berlin ein wenig Schlaf nachholen.
    Hörte er da Rouge im Nebenzimmer? Er stand leise auf, ging zu ihrer Tür und öffnete sie vorsichtig. Aber sie schlief noch und atmete ganz ruhig. Er sah, wie sich ihre Nasenflügel blähten und wieder zusammenzogen, wie der braune Fleck über ihrer rechten Brust sich hob und senkte, hob und senkte. Rouge war schön, wenn sie schlief. In diesem Moment, da die sanfte Rundung ihrer Schulter in das frühmorgendliche blassrosa Licht getaucht war, da ihr Atem so ruhig ging und ihre kupferfarbenen Locken sich wie eine Feuerkrone über das Kissen breiteten, ja, in diesem Moment konnte er sie sich fast als seine Gefährtin vorstellen. Obwohl –
    Nein. Rouge konnte nie seine Gefährtin werden. Siepassten vom Temperament her nicht zusammen. Rouge war pragmatisch und stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Er dagegen war versponnen, er liebte es, ziellos auf dem offenen Meer seiner Gedanken zu treiben. Ihr lag nichts an den Dingen, die ihm etwas bedeuteten, und er hatte keine Ahnung, wofür sie sich eigentlich interessierte, abgesehen von ihrer Arbeit – von der er so gut wie nichts wusste. Quantenphysiker – «Quants», wie die Öffentlichkeit sie liebevoll nannte – waren, was ihre Arbeit betraf, nicht sehr mitteilsam. Das galt besonders für diejenigen, die wie Rouge am renommierten Olga-Zhukova-Institut für Angewandte Physik angestellt waren. Wie sollte er mit einer Frau Kinder großziehen, deren Arbeit er nicht verstand, deren Gedanken er nicht ergründen, deren Interessen er nicht teilen konnte?
    «So was lernt man», hatte seine Mutter immer gesagt.
    «Du bist zu wählerisch», hatte ihn sein Vater getadelt. «Hüpf noch ein bisschen mehr durch die Betten!», hatte
    Mannus Rat gelautet.
    «Jeder findet seine Gefährtin», hatte Lulu gesagt. «Auch Finn.»
    Aber es wurde allmählich Zeit. Er war spät dran. Sehr spät dran. Sex galt als gesund und wurde schon
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