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Eve und der letzte Englaender

Eve und der letzte Englaender

Titel: Eve und der letzte Englaender
Autoren: Zaza Morgen
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Jahren selbst hätte erfahren können, sondern auch eine Leberdehnung von den Ausmaßen Australiens.
     

    Jeden Morgen nach dem Aufwachen schwor ich mir, nie wieder mit ihm trinken zu gehen, und jeden morgen waren mit dem ersten Espresso, den George mir per Express aus seinem Haus ins Studio liefern ließ, meine guten Vorsätze dahin.
    „ Dominic, du musst leben“, pflegte er mir immer zu sagen, wenn ich ins Jammern geriet, und schon war ich still und genoss den nächsten Drink an der Seite meines „väterlichen Freundes“, wie James ihn immer spöttisch, aber mit einem leichten Anflug von Neid nannte. George war es jedenfalls auch, der mich in die Nummer mit dem Nachtzug reinquatschte. Und der mir den Floh mit der „Unbekannten Schönheit aus deinen Träumen, die sich dir erst auf den zweiten Blick offenbaren wird“ ins Ohr gesetzt hatte.
    „ Das ist ein ganz besonderes Erlebnis, Dominic“, flüsterte er mir in einer jener Nächte zu, die irgendwie keinen Anfang und kein Ende zu haben schienen. „So macht Reisen noch Sinn!“
     

    Also buchte ich mir einen Platz im Schlafwagen nach Frankfurt – ich wollte es ja nicht völlig übertreiben und den ganzen Weg nach London mit dem Zug fahren – und ließ mich von George mit einem letzten von ihm hausgebrauten Espresso-to-go am Abend in den CityNightLiner setzen. An Schlaf war natürlich nicht zu denken, denn das Abteil war abartig klein. Die Lüftung ließ sich nicht ausstellen, das Fenster ging nicht zu öffnen und der Espresso tat sein übriges. Bei Georges Schilderungen hatte ich mir vergoldete Wasserhähne und Panoramafenster vorgestellt, aber das hier war definitiv nicht der Glacier Express, sondern ein stinkender Dreckszug. Irgendwann gegen fünf Uhr morgens schlief ich endlich ein, nachdem ich zuvor im Halbschlaf dem Schaffner auf dem Flur begegnet war und ihn zu einer Runde Grappa aus meinem Koffer überreden konnte.
     

    Ach ja, mein Gepäck, das hatte ich ja ganz vergessen zu erwähnen. Natürlich hatte ich für zwei Wochen Italien meine halbe Garderobe eingepackt, dazu noch meine Lieblingsbecken und nicht zu vergessen mein an sich schon die Ausmaße eines Kleiderschrankes einnehmendes Beauty Bag. Der Trolley, ein Spezialteil mit dem Aufdruck der britischen Flagge, wurde auf der Rückreise natürlich noch mit den zahlreichen in italienischen Outlets erstandenen und von George für gut befundenen Kleidungsstücken belastet. Sprich: Das Ding platzte aus allen Nähten und war unfassbar schwer. Ich sag ja, dieses Rockstar-Leben ist eine einzige Last!
     

    Kaum war ich im Nachtzug endlich weggedöst, hämmerte es an meine Abteiltür: „Frühstück!“ Oh ja, Freude! Immerhin hieß das, dass wir bald da sein mussten und ich endlich in den Flieger nach London umsteigen konnte. Ich setzte mich, ganz nach Georges Anweisung – „Du musst ganz nah bei den Menschen sein, Dominic“ – in die erstbeste S-Bahn Richtung Flughafen und fragte mich, wie ich diesen Tag ohne Espresso überstehen sollte. George war schließlich nicht hier, um mir einen zu bringen… Herrje, ich war schon völlig verwöhnt! Wie sollte ich jemals wieder ein selbständiges Leben ohne ihn führen? Mein verzweifelter Blick heftete sich auf das Mädchen im Vierer gegenüber. Sie sah furchtbar aus, vielleicht sogar noch furchtbarer als ich, was ja kaum machbar war. Ihre braunen, kinnlangen Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab und ihr Gesicht hatte die Farbe eines Fliegenpilzes. Sogar mit den gleichen weißen Pusteln. Sie starrte auf den Boden, vollkommen abwesend, und strich mit der rechten Hand über ein Buch, das halb aus ihrer Tasche herausschaute. „The Picture of Dorian Gray“. Darauf konnte ich in einer markanten Handschrift ihren Namen lesen. Georges Stimme echote in meinem Kopf und ich bemühte mich mit aller Kraft, sie auszustellen.
     

    Ich fragte mich stattdessen, was wohl mit ihr los war. Sie sah wirklich nicht gerade wie das blühende Leben aus. Die Haltestellen-Ansage ertönte und riss mich aus meinen Gedanken. Das Mädchen sprang plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf und stellte sich an die Tür. Ich erhob mich langsam und stellte mich hinter sie, als sie laut auf Deutsch zu fluchen begann. Es war nicht schwer zu erraten, dass sie ziemlich wütend war, und ich musste bei ihrem Anblick anfangen zu grinsen. Sie hatte etwas an sich, das mir gefiel, auch wenn sie mein Grinsen mit einem bösen Blick in der Scheibe quittierte. Kaum dass ich darauf hätte
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