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Eve und der letzte Englaender

Eve und der letzte Englaender

Titel: Eve und der letzte Englaender
Autoren: Zaza Morgen
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ja auch nicht verreisen, und so konnte ich mich problemlos vor allen anderen Fahrgästen in Richtung Rolltreppe bewegen. Hoch, rüber zum anderen Gleis, und dann nichts wie nach Hause, wo ich mich dann schön verbuddeln und für die nächsten Jahre in Selbstmitleid und Hass vermodern würde. Keine besonders verlockende Aussicht. Die Verzweiflung kroch wieder meinen Nacken herauf, ich spürte, wie die Tränen mir im Hals stecken blieben und ich starrte Hilfe suchend in der Gegend herum. Es musste doch irgendetwas geben, dass mich jetzt glücklich machen könnte, wenn auch nur für eine Minute, vielleicht auch zwei, wenn es gut lief. Mein Blick fiel auf die Werbetafel mit einem riesigen, wahnsinnig lecker aussehenden Häagen-Dazs-Becher. Okay, wenn sonst nichts half, das bestimmt! Kurz entschlossen machte ich mich auf den Weg ins Terminal 1, um mir Mithilfe von Cookies-Eis auch noch die letzte Gehirnzelle wegzufrosten.
     
    Ich hatte mich gerade in die zweite Kugel vertieft, da erspähte ich aus dem Augenwinkel einen durchaus als auffällig zu bezeichneten blau-rot-weißen Koffer. Oh nein, der patriotische Engländer schon wieder! Nun ja, zumindest sein Koffer, denn von ihm war weit und breit nichts zu sehen. Ich wendete mich wieder meinem eisgewordenen Seelentröster zu und löffelte mir den Kummer vom Großhirn direkt auf die Hüften. Bis mich ein auf feinstem British-English gestottertes „Entschuldige, weißt du, wo es hier zu Terminal 2 geht?“ mehr als unvorbereitet aus meinen Gedanken riss. Nicht nur, dass ich mich verschluckte, nein, ich fiel auch noch halb von meinem Hocker und konnte mich – heftig hustend – gerade noch so darauf halten.
    „ Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“.
     
    Ich drehte mich, dem nächsten Wutanfall nahe, um. Endlich hatte ich Gelegenheit, dem Übeltäter ins Blauauge zu blicken. Oder eher: ins Grau-Grün-Wasauchimmer-Auge. Der Engländer, natürlich! Ich übte mich wieder im bösen Blick und raunte ihm ein „da hinten die Rolltreppe hoch und dann mit dem Sky Express rüber“ zu. Er grinste mich an und ignorierte meine – immerhin ja kurz nach einem Herzinfarkt durchaus ausführliche – Wegbeschreibung vollends. Er machte auch keinerlei Anstalten, sich in Bewegung zu setzten, stattdessen war er scheinbar auch noch auf Smalltalk aus.
    „ Kommst du von hier?“, wollte er jetzt auch noch wissen.
    „ Ja, ich WOHNE hier“, erwiderte ich in möglichst schnippischem Ton.
    „ Aha… Ich wusste gar nicht, dass man auch auf dem Flughafen wohnen kann.“ Er grinste. Alter Verwalter, der Typ ging mir ja so was von auf den Sack!
    „ Ich bin übrigens Dom“, fügte er eiligst hinzu, die Gefahr definitiv witternd, und streckte mir die Hand entgegen. Ich blieb stumm und starrte an ihm vorbei. Stille. Er grinste immer noch, wie ich aus dem Augenwinkel beobachtete. „Und wie heißt du?“
    „ Weißt du, Dom, einen schönen Koffer hast du da“, ignorierte ich seine Frage. Er grinste noch breiter und mit der Kraft seiner ganzen bescheuert weißen Zähne auf mein vermeintliches Kompliment und wollte gerade wieder zur nächsten Frage ansetzen, als ich in schallendes Gelächter ausbrach. Irritiert schaute er mich an, dann drehte er sich um und schaute direkt auf die Ursache für meine Erheiterung.
    „ Tja, ich vermute, dein hübsches Köfferchen wird gerade abgeschleppt, Dom.“ Zwei Security-Menschen machten sich an dem Ungetüm von einem Trolley zu schaffen, einer von ihnen flüsterte bereits in sein Funkgerät. Der Engländer stürzte auf seinen Koffer zu, während ich vor Lachen fast zusammenbrach. Aus der Ferne beobachtete ich, wie er erst versuchte, sich seinen Trolley möglichst unauffällig zu schnappen und zu türmen, einer der beiden Sicherheitsmänner ihn aber bemerkte und ihn unwirsch festhielt. Es folgte ein wilder Wortwechsel, von dem nur vereinzelt hessische Fetzen wie „Sie könne doch hier net so aafach ihr’n Koffär stehn lasse!“ herüber drangen. Der Engländer begann, mit Händen und Füßen zu gestikulieren, doch das schien die Situation nur noch schlimmer zu machen. Sie hielten ihn vermutlich für den nächsten Kofferbomber und allem Anschein nach warteten sie nur noch auf Verstärkung, um ihn in irgendeinem Hinterzimmer ordentlich auseinander nehmen zu können. Er war eindeutig verloren. Ich sah mir das ganze noch eine Minute lang an, löffelte den letzten Rest meines Häagen-Dazs zu Ende und machte mich ganz gemütlich auf den Weg in Richtung
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